Im Schatten von Montmartre
keine
Sorgen.“ Marc... Marquini... Dieser Akzent... Auf gut Glück erkundigte ich
mich:
„Du bist nicht zufällig sein Bruder, hm?“
Sein fahles Gesicht zuckte.
„Ja, bin ich. Aber ich wüßte nicht, was dich das
angeht. Sei still und schlaf, Querkopf!“
Ich nahm seinen Rat dankbar an. Müde genug war
ich. So müde, daß ich nach ein paar Minuten, in denen ich schweigend dalag und
die Zeit in der Ewigkeit verrann, einschlief.
* * *
Mein Beinchensteller weckte mich. Er hatte von
seiner Spritztour einen jungen Ganoven mitgebracht. Der Neue hatte einen
schmalen Schnäuzer und ‘ne widerliche Fresse. Sobald er den Mund aufmachte,
identifizierte ich ihn als den Anrufer mit der schleimigen Stimme.
„Der Boß will mit Ihnen reden“, sagte mein Ringkampfgegner
zu mir. „Wir fahren zu ihm.“
Meine Fußknöchel wurden von ihren Fesseln
befreit — nur meine Fußknöchel! — , ich wurde auf die Beine gestellt (na ja,
ich meine, sie packten mich an den Armen und rahmten mich ein), und ab ging’s.
Mein Auto wartete mit laufendem Motor vor dem
Hotel. Ich mußte mich vor der Rückbank auf den Boden legen, und sie breiteten
eine Decke über mich. Marquini, der Bruder des Marquis, leistete mir
Gesellschaft, allerdings auf dem Rücksitz, einen Fuß lässig auf meine Hüfte gestellt.
Wir fuhren los. Beinchensteller saß am Steuer.
Der dritte Halbstarke folgte wohl in einem anderen Wagen.
Vorführung
Ich war nahe am Ersticken unter meiner Decke,
als der Wagen endlich anhielt. Die Türen wurden geöffnet, Beinchensteller und
Krummnase stiegen aus. Ein Gestank von Metall, Öl, Farbe und Benzin drang durch
die Decke zu mir und beleidigte meine feine Nase. Wenig später hielt ein
anderer Wagen neben meinem. Lautes Türenknallen. Der Junge mit der schmierigen
Stimme und dem Schnauzbärtchen war angekommen. Die Ganoven wechselten schnell
ein paar Worte. Es hallte wie in einem Gewölbe. Der schmierige Anrufer
entfernte sich, während sich meine beiden persönlichen Bewacher endlich um mich
kümmerten.
Sie befreiten mich aus meiner unbequemen Position
und nahmen mir die Fesseln ab. Während ich mir die Handgelenke rieb, warf ich
einen Rundblick um mich. Wir befanden uns in einer großen Halle, Lagerraum
eines Schrotthändlers oder Werkstatt zum Umspritzen geklauter Autos. Doch es
sah so aus, als hätte hier seit langem niemand mehr das fröhliche Lied der
Arbeit angestimmt.
Der Morgen graute. Durch eine offene Tür konnte
ich auf ein freies Gelände blicken, auf dem sich Autowracks stapelten. Fahles
Morgenlicht ließ die Umrisse erkennen. Die Natur erwachte. Munteres
Vogelgezwitscher und schwerfälliges, friedliches Glockengeläute drangen an mein
Ohr.
„Alles in Ordnung?“ fragte mich Beinchensteller.
„Alles in Ordnung.“
Warum sollte ich „nein“ sagen? Der Ganove
zündete sich eine Zigarette an und hielt mir die Schachtel hin. Ich sagte,
danke, ich hätte meine Pfeife, und langte in meine Manteltasche. Lachend machte
mich mein Bewacher darauf aufmerksam, daß mein Stierkopf beim Boß sei. Na
schön, dann eben eine Zigarette. Ich nahm zwei tiefe Züge und schmiß die Rippe
auf den Boden. Es war eine von diesen orientalischen. Ein ekelhaftes Kraut,
schlimmer als deutscher Tabak, der immerhin... Das junge Schnauzbärtchen kam
zurück.
„Los, gehn wir!“ sagte er.
Unsere kleine Prozession — mit Krummnase als
Schlußlicht — setzte sich in Bewegung. Nachdem wir eine Eisentreppe hinauf- und
durch eine Tür hindurchgegangen waren, standen wir in einem angrenzenden
Wohnhaus. Wir durchquerten einen spärlich beleuchteten Korridor, an dessen Ende
ein Kerl auf einem Sofa schnarchte wie ein Kutscher. Er war jung, athletisch
gebaut und sah mit seinem dunklen Teint und den krausen Haaren wie ein
orientalischer Teppichhändler aus. Wahrscheinlich war er der Lieferant der
widerlichen Zigaretten. Mein Begleitschutz machte sich über ihn lustig.
„Sieht aber ganz schön kaputt aus!“
„So schwer, wie der arbeitet!“
„Das Glück ist mit den Doofen!“
Plötzlich wurde eine Tür aufgerissen.
„Schnauze!“ schnauzte eine heisere Stimme.
Ein hochgewachsener, schlanker Mann stand im
Türrahmen. Das Licht hinter ihm ließ sein schneeweißes Haar silbrig glänzen. Er
trug einen grauen Maßanzug. Ein Seidentuch schützte seinen Hals und seine
angegriffenen Stimmbänder. Rubine leuchteten an seinen Manschetten. Seine Hände
waren so feingliedrig wie die von Dr. Clarimont. Unter seinem vorzeitig
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