Im Schatten von Montmartre
weiß
gewordenem Haar — der Mann war nämlich noch jung — erkannte man ein strenges,
aber nicht bösartiges Raubvogelgesicht. Die stark gebogene Adlernase und der
häßliche weiße Fleck auf dem linken Auge konnten einem allerdings Angst
einjagen. Zweifellos war das der Mann, den sie „den Boß“ nannten. Ein auf den
ersten Blick wenig gemütlicher Zeitgenosse, eine Mischung aus raffiniertem
Wucherer, zähem Geschäftemacher und vornehmem Mörder.
Mit einer knappen Geste entließ er seine Männer,
bis auf einen.
„Wenn Sie mir folgen wollen, Monsieur Burma“,
sagte er dann zu mir.
Monsieur Burma! Wie förmlich! Er drehte sich um
und ging wieder in das Zimmer zurück. Offensichtlich befürchtete er nicht, von
mir hinterrücks angegriffen zu werden. Dazu verspürte ich allerdings auch nicht
die geringste Lust. Um so weniger, da mein Beinchensteller mir nicht von der
Seite wich. Ein gut eingespieltes Team!
Die Fenster des Raumes waren verbarrikadiert.
Eine Deckenlampe tauchte das spärliche Mobiliar in milchiges Licht: drei
Stühle, einen Sessel, eine Art Aktenschrank und einen runden Tisch, auf dem
sich farbige Aktenordner stapelten. Und auch meine Habe lag auf dem Tisch:
Brieftasche, Pfeife usw. Nur meinen Revolver sah ich nirgendwo.
„Setzen Sie sich doch in den Sessel, Monsieur
Burma“, forderte mich der Pirat mit den weißen Haaren auf und setzte sich
selbst an den Tisch.
Ich nahm im Sessel Platz. Mein Bewacher hatte
sich bereits auf einem der Stühle niedergelassen.
„Wenn Sie rauchen möchten...“
Der Gangsterboß reichte mir meine
Rauchutensilien. Ich stopfte meine Pfeife, und er zündete sich eine Zigarette
an.
„Sie sind also Nestor Burma!“
„Ja“, sagte ich. „So langsam dürfte das ja
bekannt sein. Aber was mir nicht bekannt ist: Wer sind Sie? Wie war noch mal
Ihr Name?“
„Oh, ich bin nicht so berühmt wie Sie. Nennen
Sie mich einfach Ixe. Das genügt für den Augenblick.“
„Ixe? Wie die bekannte Nachrichtenagentur?“
„Genau so. Monsieur Burma, als ich noch nicht
ahnte, wie schnell ich Ihre Bekanntschaft machen sollte, hatte ich die Gelegenheit,
Ihren Namen in der Zeitung zu lesen. Ich glaube, es war im Zusammenhang mit
antiken Chinoiserien oder etwas Ähnlichem, die einem Sammler, dessen Name ich
vergessen habe, gestohlen worden sind.“
„Clarimont.“
„Ja, kann sein.“
„Interessieren Sie sich für antike
Chinoiserien?“
„Überhaupt nicht.“
„Trotzdem... Tja...“
Ich legte meine Pfeife aus der Hand. Mein Tabak
schmeckte noch fürchterlicher als das arabische Kraut, und das war mehr, als
mein Brummschädel vertragen konnte.
„Trotzdem haben Ihre Geschäfte ein ganz klein
wenig mit China zu tun, wenn man so will.“
„Mit China?“
„Ja, ganz entfernt. Wegen des Mohns.“
„Ach, jetzt verstehe ich, was Sie meinen.“
Sein Blick wurde hart.
„Monsieur, ich frage mich, ob Sie sich nur für
die antiken Figuren und das Foto — Sie wissen schon, welches ich meine —
interessieren, oder ob noch etwas anderes dahintersteckt.“
„Einerseits für die Jadefiguren, andererseits
für das Foto. Zwischen beidem besteht kein Zusammenhang. Über das Foto, das uns
einander sozusagen nähergebracht hat, sollten wir uns übrigens unterhalten. Ich
weiß nicht, ob Sie auf dem laufenden sind, aber bei mir zu Hause liegt die
Leiche eines Mannes. In wenigen Stunden wird entweder die Putzfrau oder meine
Sekretärin den Toten entdecken und das Viertel in Aufregung versetzen.“
„Aber nein, aber nein! Niemand wird eine Leiche
bei Ihnen entdecken. Sehen Sie, wir haben ein wenig aufgeräumt. Der arme Milo
nimmt zur Stunde ein Bad in der Seine. Das hätten Sie sich doch denken können!
Ich hatte Sie für scharfsichtiger gehalten... Sicher, Sie haben eine bewegte
Nacht hinter sich, doch da sind Sie nicht der einzige. Haben meine Leute Sie
etwa zu hart angefaßt?“
„Nein, es ging.“
„Sie können manchmal ihre Kräfte nicht unter
Kontrolle halten.“
„Milo hat’s zu spüren bekommen.“
„Das war nicht unsere Absicht.“
„Was war denn Ihre Absicht?“
„Sie zu veranlassen, Ihre Nachforschungen
einzustellen. Wir haben gehofft, der Anblick des ramponierten Milo würde Ihnen
zu denken geben.“
„Und Sie glauben wirklich, ich lasse mich auf
diese Weise einschüchtern?“
„Man konnte es ja mal versuchen... Leider ist
der blöde Kerl krepiert. Dadurch hat sich einiges verändert. Und, wie das Leben
so spielt, da Sie uns über den Weg gelaufen
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