Im Schatten von Montmartre
Hausnummer? ... 18a? ... Danke.“ Und sogleich folgte das
nächste Telefongespräch: Immobilienbüro Chambón, Avenue du Maine.
„Hallo! Monsieur Chambón bitte...
Monsieur Pavin... Von Monsieur Rigaud, Louis Rigaud... Ah, Monsieur Chambón? Guten Tag, Monsieur. Hier
Pavin. Ich bin ein Freund von Monsieur Rigaud. Er hat mir geraten, Sie
anzurufen... Sie verwalten doch seine Immobilien, nicht wahr?“
„Ja, das stimmt.“
„Na, wunderbar! Monsieur Rigaud hat mir erzählt,
daß in seinem Haus in der Avenue Niel eine Wohnung frei wird.“
„Sie setzen mich in Erstaunen, Monsieur...“
„Ach, gehört denn Monsieur Rigaud nicht das Haus
Nr. 18 a?“
„Doch, es gehört Monsieur Rig..
Schlagartig wurde er sich bewußt, daß er am
Telefon munter Berufsgeheimnisse ausplauderte, falls es bei Immobilienmaklern
so etwas überhaupt gibt. Er räusperte sich und sagte geschäftsmäßig:
„In der Avenue Niel ist nichts frei, Monsieur.“
„Nun setzen Sie mich aber in Erstaunen!“ rief
ich erstaunt. „Monsieur Rigaud hat mir versichert... Moment... Entschuldigen
Sie, wir meinen doch beide Louis Rigaud, den Reeder, nicht wahr?“
Monsieur Chambón gefielen meine Fragen ganz und
gar nicht.
„Wie war noch gleich Ihr Name, Monsieur?“ fragte
er.
„Pavin“, antwortete ich. „Wie Sie.“
„Wie ich?“
„Ja, wie Sie. Der Pavin-See liegt nicht weit vom
Chambon-See entfernt. Waren Sie schon mal in der Auvergne?“
Ohne die Antwort auf diese interessante Frage
abzuwarten, legte ich auf. Ein kleiner Witzbold, unser Nestor!
Ich steckte meine Nase wieder ins Telefonbuch
und griff dann zum Apparat, um die Nummer einer bestimmten Villa in der Avenue
Foch zu wählen. Gleich nach dem ersten Klingeln wurde abgehoben. Der Kerl mußte
direkt vor dem Telefon auf der Lauer liegen. Ich sagte nichts, wartete nur
darauf, daß der andere sich meldete.
„Hallo!“ kam es durch die Leitung. „Mit wem möchten
Sie sprechen?“
Ich erkannte seine Stimme wieder, obwohl sie
verändert klang. Es war die müde Stimme eines müden Mannes, der von einem
Telefongespräch nichts als Katastrophen erwartet.
„Monsieur Rigaud?“ schnurrte ich wie ein Kater.
„Am Apparat. Wer spricht dort?“
„Burma. Nestor Burma, Privatdetektiv. Ich rufe
Sie wegen Etienne Raphanel an.“
Ich machte eine Pause, für den Fall, daß der
andere mir etwas sagen wollte. Er wollte nicht. Er atmete nur etwas heftiger.
„Ich würde Sie gerne treffen“, fuhr ich fort.
„Sagen wir... heute nachmittag. Ich möchte Ihnen ein paar Fotos zeigen.“
„Fotos...“
Er sprach wie im Traum, mit einer Idee
schmerzhafter Ironie im Unterton. Er seufzte.
„Sie hatten kein Vertrauen, nicht wahr?“
„Aber, aber, Monsieur Rigaud!“ lachte ich. „Sie
haben doch selbst keins!“
„Oh, streiten wir uns nicht am Telefon. Kommen
Sie um 15 Uhr zu mir, wenn Sie wollen.“
So reich er auch war, es gab Aufgaben, die
niemand für ihn übernehmen konnte.
* * *
Die Mittagsausgabe des Crépuscule erschien mit einer riesigen Schlagzeile: Abrechnung unter
Rauschgifthändlern. Der Untertitel verkündete: Vier Tote.
Nach meinem Verschwinden waren die Gangster also
nicht untätig geblieben. Die vier Toten („bekannte Ganoven und Dealer“), deren
Fotos abgebildet waren, hießen Edmond Marquini, Frédéric Villec, Gabriel
Vassard und Paul Four-quay... Paulot, der hinter Rita Cargelo hergewesen war!
Der Artikel (von Marc Covet signiert)
berichtete, daß Paulot seine schweren Verletzungen nur ein paar Stunden
überlebt hatte. In dieser Zeitspanne hatte er das eiserne Gesetz des Schweigens
gebrochen und ausgepackt. Unter anderem hatte er die verschiedenen
Schlupfwinkel eines Drogenkönigs verraten, der von den Flics bisher nicht
gefaßt werden konnte: Philippe Besson alias „der Alte“ alias „der Professor“
(wegen seiner weißen Haare und seines vornehmen Benehmens). Nur über die Gründe
für die Schießerei hatte Paulot sich ausgeschwiegen.
Der Professor, von seinen Fluchtburgen
abgeschnitten „wie die Dealer momentan von ihren Bezugsquellen“, würde der
Polizei bald ins Netz gehen, so vermutete man.
Für vierzig Centimes konnte man auf den nächsten
Seiten „alles über den tödlichen Streit“ erfahren, „so als wären Sie
dabeigewesen“.
Der Schauplatz: Bagneux, in der Nähe des
Sackbahnhofs. Ein alleinstehendes Gebäude mitten auf freiem Gelände, das als
Schrottplatz diente. Paulot war gleich zu Anfang der lärmenden
Auseinandersetzung
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