Im Schatten von Montmartre
war noch...“
Ich hatte meine Pfeife gestopft und zündete sie
an.
„...dann war es offensichtlich eine dritte
Person“, ergänzte ich ihren unvollständig gebliebenen Satz. „Die nämlich,
welche die Flics angerufen hat.“
„Sie meinen den Telefonanruf? Ja, davon habe ich
erfahren... aus der Zeitung. Ich dachte, Sie wären das gewesen. Also waren Sie
es nicht?“
„Nein, ich war es nicht. Nachdem ich Simone in
Sicherheit gebracht hatte, bestand für mich kein Grund für solch eine Aktion.“
„Großer Gott! Sie waren es nicht!“
„Nein. Es war der Freund der kahlköpfigen Frau.“
„Der Freund der kahlköpfigen... was?“
„Ja. In jener Nacht war nämlich noch eine andere
Frau in der Rue des Mariniers. Simone hat sie gesehen, durch den
Rauschgiftnebel hindurch. Und der Freund jener Frau hat die Flics angerufen, es
sei denn, sie selbst war es, mit verstellter Stimme. Vielleicht hat sie sich
ihre Perücke als Knebel in den Mund geschoben, was weiß ich! Anscheinend haben
in der besagten Nacht alle möglichen Leute versucht, ihre Stimme zu verstellen
oder etwas zu vertuschen. Es war die Nacht der verstellten Vertuscher!“
„Jemand anders!“ stöhnte Rita Cargelo und rang
ihre Hände. „Mein Gott, das ist ja furchtbar!“
Ich ahnte, woran sie dachte, spielte aber die
Unschuld vom Lande.
„Aber warum denn? Ob Prunier von diesem oder
jenem umgebracht wurde, was macht das für einen Unterschied? Das eine ist so
furchtbar wie das andere.“
„Das können Sie nicht verstehen.“
„Doch, ich verstehe sehr gut. Hören Sie, ich
werde Ihnen eine Geschichte erzählen.“
Ich ging zum Fenster und zog die Jalousien hoch.
Helles Licht durchflutete das Zimmer.
„Was tun Sie da?“ schrie die Schauspielerin.
„Ich möchte klar sehen, im eigentlichen wie im
übertragenen Sinn. Haben Sie keine Angst, ich bin als Freund gekommen.
Vertrauen Sie mir und hören Sie sich meine Geschichte an.“
Den Blick auf den Wald von Verrières gerichtet,
der sich gegen den Himmel abzeichnete und an dem die Autos entlangfuhren, deren
Karosserien in der untergehenden Sonne blinkten, begann ich, mit dem Rücken zu
der ängstlichen Frau: „Vor vielen, vielen Jahren war einmal ein Mädchen, das
gerade beim Film angefangen hatte. Da fiel es auch schon einem Schwein namens
Prunier in die Hände. Der ließ das Mädchen in gewagten Stellungen vor seiner
Kamera posieren... oder vielleicht in einem Film ähnlichen Kalibers mitspielen.
Die Jahre zogen ins Land. Das junge Mädchen wurde ein großer Filmstar. Prunier
konfrontierte sie mit den früheren Sünden und erpreßte sie. Doch es kam der
Tag, an dem der Filmstar keine Lust mehr hatte, sich erpressen zu lassen. Vom
Festival schleicht sie sich aus Cannes fort, fährt nach Paris und sucht Prunier
auf, wahrscheinlich in der Absicht, ihn zu ermorden. Doch als sie an den Ort
ihres Vorhabens kommt... usw. Ich erinnere an das, was Sie mir soeben erzählt
haben. Gut. Ihr Werk ist bereits vollbracht. Die Schauspielerin sucht in der
Wohnung die ,Waffen des Erpressers’, findet sie — die Fotos und Filme — oder
findet sie nicht. Findet sie das Material, braucht sie es nur zu vernichten.
Findet sie es aber nicht, kann sie sich mit dem Gedanken beruhigen, daß die
Erpressung ein Bluff war, das heißt, der Erpresser hat lediglich mit der
Erinnerung an bestimmte Geschehnisse gespielt und nicht auf handfeste Beweise
gebaut: Fotos und Filme existieren nicht mehr. Bleibt also im Augenblick nur,
Simone zu helfen. Das liegt nicht nur im Interesse des Mädchens, sondern im
Interesse aller. Die Schauspielerin geht ans Werk. Auftritt Nestor Burma,
Privatdetektiv. Die Tage vergehen, und keine Wolke erscheint am Horizont. Die
Fotos und Filme befanden sich offenbar nicht in Pruniers Wohnung, sonst hätte
die Polizei sie entdeckt und wäre zu ihr, dem Filmstar, gekommen, um
Erklärungen zu verlangen. Und dann — mit tremolierender Stimme zu sprechen —
blendet sich Nestor Burma ein. Nestor Burma, ein netter Mensch, ein prima Kerl,
allzeit bereit, Witwen und Waisen zu beschützen, Nestor Burma, dessen Auftritte
allerdings manchmal nichts als Ärger einbringen. Und dieser Nestor Burma sagt,
daß nicht Simone es war, die Prunier getötet habe. Jemand anderer sei’s
gewesen, ein Unbekannter. Nehmen wir an, daß der Filmstar kein belastendes
Material bei dem Kameramann gefunden hat, so können wir weiter annehmen, daß
der Unbekannte, der Mörder, besagtes Material eingesteckt hat. Und schon
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