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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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üblen Schimpfworte, mit denen
Coulon ihn vorhin bedacht hatte, erwartete ich, daß er wegen der Verspätung
ebenfalls eine dicke Zigarre verpaßt kriegen würde. Doch dem war nicht so.
Anschnauzereien sind für schäbige Privatschnüffler reserviert, nicht für
Medizinmänner. Mein lieber Paul hier, mein lieber Paul dort, so ging das die
ganze Zeit. „Entschuldigen Sie, daß ich Sie belästigt habe, ich weiß, Sie haben
seit gestern Ihre eigenen Sorgen, außerdem sind Sie ja eigentlich Psychiater,
aber ich wollte mich in einer so ernsten Situation nicht an jemand anders
wenden, schließlich gehören Sie fast zur Familie, wenn ich daran denke, wie Sie
meiner armen Eliane beigestanden haben und..
    „Aber ich bitte Sie, Victor“, unterbrach ihn der
Wunderdoktor.
    Über seine schmalen Lippen huschte ein
charmantes Lächeln, sehr sympathisch, sehr beruhigend, ein Lächeln, das er wohl
aufsetzte, wenn er — als Psychiater — mit seinen Kranken sprach. Aber, zum
Teufel nochmal! Was für ein Blödmann, dieser Coulon! Wir brauchten keinen
Psychiater — jedenfalls nicht im Augenblick — , sondern einen ganz
gewöhnlichen, sozusagen normalen Arzt. Doch auch als Irrenarzt mußte Paul einen
blassen Schimmer von Allgemeinmedizin haben. Und außerdem war das nicht mein
Bier.
    „Aber ich bitte Sie“, widerholte der Arzt. „Sie
belästigen mich ganz und gar nicht, mein Lieber. Im Gegenteil, ich muß mich bei
Ihnen entschuldigen, weil ich Sie so lange hab warten lassen...“
    Er schwenkte sein Köfferchen.
    „Ich mußte noch einige Instrumente
zusammensuchen, die ich schon lange nicht mehr benutzt habe... Also, was ist
passiert?“
    Da er mich die ganze Zeit über neugierig
gemustert hatte, sah sich unser Gastgeber veranlaßt, uns einander kurz
vorzustellen:
    „Nestor Burma, Privatdetektiv... Dr. Clarimont.“
    Wir gaben Pfötchen. Die Innenfläche seiner so
zart wirkenden Hand erwies sich als rauh. Ich sah Dr. Clarimont (der Name kam
mir irgendwie bekannt vor) an den Augen an, daß er sich fragte, was das Ganze
sollte. Was hatte ein Privatflic um diese Uhrzeit hier zu suchen?
    „Simone ist ausgerissen“, erklärte der neureiche
Spediteur. „Und Sie haben mir nichts davon gesagt?“ empörte sich der Arzt
vorwurfsvoll.
    „Tja... Ich habe niemandem etwas davon
erzählt... Ich... Kurz gesagt, ich habe Monsieur Burma damit beauftragt, sie zu
suchen. Nun, heute nacht hat er sie gefunden... unter merkwürdigen Umständen
    „Bis an die Halskrause mit Drogen vollgepumpt“,
ergänzte ich.
    „Das reicht, mehr brauchen Sie nicht zu sagen“,
erwiderte Dr. Clarimont. „Wo ist sie jetzt?“
    Coulon brachte ihn in Simones Zimmer. Ich blieb
alleine im Salon zurück und ließ unsicher meinen Blick schweifen. Auf dem
Flügel thronte zwischen zwei Blumenvasen das Foto einer Frau, die einen Vorgeschmack
darauf gab, wie Simone im reifen Alter einmal aussehen würde. Ihre Mutter, ohne
Zweifel. Die Ähnlichkeit war frappierend. Unten auf dem Rahmen stand Eliane. Das war also die „arme Eliane“, von der Coulon soeben gesprochen hatte, jene
Eliane, der Clarimont so aufopferungsvoll und fachmännisch beigestanden hatte.
Clarimont, der Psychiater... Hm! Ich setzte mich, zündete mir eine Pfeife an,
um meinen Kater ein wenig zu besänftigen, und fragte mich, bei welcher
Gelegenheit ich schon einmal von Dr. Clarimont gehört hatte. Plötzlich fiel es
mir wieder ein: Im Crépuscule vom Montag, in der Mittags- und
Abendausgabe! Eine bedeutende Persönlichkeit, ehemaliger Psychiater mit
hervorragendem Ruf und einer Villa in Sceaux, in die am Wochenende während
seiner Abwesenheit eingebrochen worden war. Genauer gesagt, in der Nacht von
Sonntag auf Montag. Man hatte einige seiner Jadefiguren gestohlen, deren Wert
auf mehrere Millionen geschätzt wurde. Ganz nebenbei war ein Butler des Arztes
bei dem Abenteuer ermordet worden. „Ich weiß, Sie haben seit gestern Ihre
eigenen Sorgen“, hatte Coulon zu Dr. Clarimont gesagt. Donnerwetter! Der
hinzugeeilte Arzt war nicht der erstbeste, den Coulon hatte auftreiben können.
Mein Klient wollte ja mächtig hoch hinaus, wenn er sich solche Bekannte
aussuchte...
    Im Crépu hatte ich außerdem noch einen
biographischen Artikel über den „typischen Pariser“, wie es hieß, gelesen. Wenn
ich mich recht erinnerte, war darin die Rede gewesen, daß Clarimont vor seinem
vorzeitigen Ruhestand nicht nur „am Firmament des medizinischen Himmels“,
sondern auch noch auf allerhand anderen Gebieten

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