Im Schloss unserer Liebe
nichts dergleichen sagen“, erwiderte Rafael streng. „Deine Mutter ist für sich selbst verantwortlich. Sie kann tun, was sie will.“
Warum kamen ihr wieder die Tränen? Starr schaute sie aus dem Fenster und blickte hinaus. Der Kahlschlag reichte bis an die Grenze des alten Ortes, in dem sie damals, als sie noch ihre historischen Forschungen betrieb, gewohnt hatte.
Wie hatte Kass so verantwortungslos handeln können? Die kleine Stadt war offensichtlich gefährdet. Am liebsten wäre sie hier ausgestiegen und hätte mit dem Aufforsten begonnen.
Aber das Ganze durfte sie nichts angehen.
Bei der Ankunft fand Kelly keine Möglichkeit, sich unauffällig im Hintergrund zu halten. Auch sie wurde erwartet.
Bei ihrem ersten Besuch in Alp de Ciel hatte sie zu einem Team von Wissenschaftlern gehört. Die Ausgrabungen waren außerhalb des jetzigen Schlossgeländes, jenseits der Überreste der ursprünglichen Burg vorgenommen worden. Das Schloss hatte sie erst nach dem Tod des alten Fürsten kennengelernt, kurz vor der Geburt ihres Kindes.
Kass hatte sie wie eine Trophäe vorgestellt.
„Das ist meine Frau. Sie erwartet meinen Erben. Einen Sohn. Dies ist mein Land. Mein Land“, waren seine Worte gewesen.
Kelly erinnerte sich an das Schweigen, das missbilligende, abweisende Schweigen der Angestellten, die sich links und rechts des Eingangs aufgestellt hatten.
Ohne auf sie zu achten, war Kass ins Schloss gestürmt. „Kümmern Sie sich um sie“, hatte er einem älteren Paar im Vorbeigehen befohlen. „Tun Sie alles, damit sie ein gesundes Kind zur Welt bringt.“
Bis zu ihrer erzwungenen Abreise hatte Kelly sich von den erschreckten oder ablehnenden, manchmal auch mitleidigen Blicken der Angestellten verfolgt gefühlt.
Diesmal war alles ganz anders.
Wieder hatten sich die Angestellten versammelt. Es waren zwar nicht so viele wie damals, aber sie lächelten.
„Ellen“, rief Matty, rannte zu einer drallen, nicht mehr jungen Frau am Ende der Reihe und stürzte sich in ihre ausgebreiteten Arme. Dann hielt er nach seinen anderen Freundinnen Ausschau und jauchzte. „Marguerite. Tante Laura.“
Sie strahlten ihren Sohn an. Auch Rafael lächelte. Ein Mann, an den Kelly sich erinnerte, Crater, der Hofsekretär, inzwischen vollständig ergraut und schon etwas gebückt, trat vor und ergriff Rafaels Hand.
„Gut, dass Sie wieder da sind, Sir.“
„Auch ich bin froh, wieder hier zu sein“, sagte Rafael. Dann umarmte er eine Frau in Craters Alter. Sie trug einen weiten Rock, eine lange Strickjacke und darüber eine mit Farben bekleckste Schürze. Auch ihr volles graues, zu einem Knoten geschlungenes Haar hatte Farbflecken wie das Taschentuch, mit dem sie sich die Freudentränen fortwischte.
„Mama, lass doch das Weinen.“ Er hob sie hoch und wirbelte sie herum wie ein Kind. „Ich bin doch nur eine Woche fort gewesen. Was soll Kelly von dir denken?“
„Kelly …“
Rafael setzte seine Mutter ab. „Das ist sie, Mama. Ich möchte allen Prinzessin Kellyn Marie de Boutaine vorstellen. Ihr ist schlimmes Unrecht angetan worden. Doch schließlich willigte sie ein, dorthin zurückzukehren, wohin sie gehört. Ich bin sehr glücklich darüber, dass Kelly nach Hause gekommen ist.“
Für einen Moment, einen winzigen Moment, wünschte sich Kelly, ein bisschen mehr wie eine Prinzessin auszusehen. Sie wollte keineswegs wie eine arme Verwandte wirken. Das hätte sie bedenken sollen.
Doch mehr Zeit zum Hadern blieb ihr nicht, denn Laura stieß einen Freudenschrei aus und kam auf sie zu. Angesichts des verwegenen Aussehens der Mutter des Prinzregenten fand Kelly ihren eigenen Aufzug plötzlich gar nicht mehr so unangemessen.
Mit überzeugender Herzlichkeit nahm Laura die zurückgekehrte Prinzessin bei den Händen und betrachtete sie von oben bis unten. Kelly war sicher, dass Laura weder die Jeans noch den viel zu weiten Pulli beachtete. Vielmehr versuchte sie, ihr in die Seele zu schauen.
„Endlich sind Sie nach Hause gekommen. Wie ich mich darüber freue“, flüsterte Laura. „Wir bedauern, was man Ihnen hier angetan hat, und hoffen, dass Sie uns irgendwann vergeben. Doch nun sind wir überglücklich, Sie wieder hier bei uns zu haben. Herzlich willkommen, liebe Kelly!“
Dann wandte sie sich an die Angestellten und hob dabei ihre Hand, in der noch immer Kellys lag. „Unser Matty hat seine Mutter zurück. Und wir unsere Prinzessin. Danke, Rafael, dass du sie nach Hause geholt hast.“
Die nächsten Stunden erlebte
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