Im Schloss unserer Liebe
hatte. Das Mondlicht fiel herein, Kelly verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte nach.
Wieso hatte sie sich diesen Kuss gefallen lassen? Und ihn sogar erwidert?
Weil sie ihn unwiderstehlich fand? Diesen Rafael de Boutaine, Prinzregent von Alp de Ciel. Sein Kuss hatte sie um den Verstand gebracht.
Kass’ Küsse damals auch.
Nein. Rafael ließ sich nicht mit Kass vergleichen. Sie brachte es nicht fertig, ihn abzulehnen. Er war ein warmherziger Mensch. Ein Mensch mit Gefühlen. An seiner Seite hatte sie sich sogar wohlgefühlt, als er den Prinzregenten spielte und sie die Prinzessin. Schön hatte sie sich gefühlt, immer wenn er sie anschaute.
Doch die Empfindungen für ihn lösten Ängste in ihr aus. Die Kelly, die vor fünf Jahren von Kass verletzt worden war, lehnte sich dagegen auf.
Wenn sie sich wieder in einen Prinzen verliebte …
Aber das war ja Unsinn. Sie verliebte sich nicht gleich, nur weil er sie geküsst hatte.
„Er ist ein wunderbarer Mann“, sagte sie laut und schloss die Augen, als könnte sie damit die Gedanken an ihn vertreiben.
Morgen würde seine Partnerin hier sein. Sollte Rafael doch mit Anna weiterregieren! Ich werde mich in meiner Dachkammer verkriechen und die Nase in Bücher stecken, nahm sie sich vor.
Warum hatte er sie geküsst? War er von Sinnen gewesen?
Rafael hatte eingewilligt, Prinzregent zu werden und die Regierungsgeschäfte zu führen. Aber mehr Verantwortung für Matty übernehmen, als er immer schon übernommen hatte, wollte er nicht. Und schon gar nicht wollte er eine Schwäche für Mattys Mutter entwickeln.
Trotzdem hatte er sie geküsst. Ohne darüber nachzudenken, hatte er es einfach getan. Und mit nichts war es rückgängig zu machen.
Bis zum Reitunfall seines Vaters hatte er keine Schwierigkeiten darin gesehen, zum Fürstenhaus zu gehören. Er war von seinen Eltern auf ein Internat geschickt worden, weil sie ihn vor dem Einfluss seines älteren Cousins schützen wollten. Kass war schon immer arrogant und egoistisch gewesen. Obwohl Rafael gerne zur Schule gegangen war, hatte er die Ferien zu Hause verbracht und meist auf einem Pferderücken das Land durchstreift. Dabei waren ihm Menschen und Natur seiner Heimat ans Herz gewachsen.
Doch mit der Verletzung seines Vaters hatte sich im Laufe eines Sommers alles verändert. Kurz bevor er wieder zum Internat abgereist war, hatte Laura ihren Mann dazu überredet, frische Luft zu schnappen, sie und Rafael hatten ihn in den Schlossgarten geschoben.
Weit waren sie nicht gekommen, bis sie Kass begegneten. „Er gehört nicht hierher“, hatte er mehr Laura als seinen Onkel angeschnauzt. „Sein Anblick bringt die Dienerschaft in Verlegenheit, und mich macht er krank.“ Zwei Monate später war Rafaels Vater gestorben, ohne jemals wieder einen Fuß ins Schloss oder in den Schlossgarten gesetzt zu haben.
Rafael hatte das Verbot für sich übernommen, nie wieder das Schloss betreten und es abgelehnt, dem Fürstenhaus zu dienen.
Jetzt bin ich wieder hier, lebe im Schloss und diene dem Fürstenhaus, wie mein Vater seinem Vater und dann seinem Bruder gedient hat. Das machte Rafael krank.
Und heute Nacht hatte er Kass’ Frau geküsst.
Warum?
Er hatte sich in einem Netz verfangen, in einem fein gesponnenen Spinnennetz. Gewissen und Pflichten hielten ihn darin fest.
Kelly erging es ebenso.
Doch sie konnte sich Freiheiten nehmen. In einer Dachkammer leben, Forschung betreiben, sich aus allem heraushalten. Oder, wie heute Abend, sich sehen lassen und einmischen, um sich zurückzuziehen, wenn es ihr zu viel wurde.
Warum hatte er sie geküsst?
„Weil ich ein Idiot bin“, sagte er laut und rollte sich auf die Seite. Er hätte sich noch sechs oder sieben Mal so weiterrollen können, ohne aus seinem fürstlichen Bett zu fallen.
So albern groß es auch war, in diesem Bett musste er noch zwanzig Jahre schlafen. Er wurde Zeit, sich daran zu gewöhnen. Und zu lernen, Kelly nie wieder zu küssen.
6. KAPITEL
Als Kelly erwachte, hörte sie Stimmen und Poltern. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie sich befand. Bett und Räumlichkeiten waren ihr fremd. Kaum hatte sie sich orientiert, wurde die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufgestoßen, und Matty stürzte herein.
„Onkel Rafaels ganzes Spielzeug ist da. Mama, komm mit und sieh es dir an.“
„Ich weiß nicht …“
„Mama, du musst!“, rief er, bevor sie Ausreden erfinden konnte. „Ich habe Hunger. In der Küche werden ganz viele Pfannkuchen gebacken, damit
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