Im Schloss unserer Liebe
Landlebens, nicht die damit verbundene Arbeit. Als ihnen das Gras förmlich über den Kopf zu wachsen drohte, verpachteten sie die Weiden an ein Gestüt. Und endlich hatte ich Spielgefährten. Ich liebte die Pferde, ich sprach mit ihnen, als wären sie meinesgleichen. Als ich ungefähr acht war, erbarmte sich der Züchter und brachte mir das Reiten bei. Bald darauf durfte ich ihm sogar beim Einreiten helfen. Er gab mir das Gefühl, eine Hilfe zu sein. Nach ihm, Matt Fledgling, habe ich meinen Sohn benannt.“
„Ja, und weiter“, ermunterte Rafael sie.
„Als Kass mich einlud, mit ihm auszureiten, habe ich Ja gesagt. Er gab mir ein Pferd, das prächtiger war als alle, die ich zuvor gesehen hatte. Und ich bin niemals besser geritten als an jenem Morgen. Es hat mich übermütig gemacht. Ich wollte auf einmal, dass Kass meine Reitkünste bewunderte. Das tat er auch, und ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben schön und begehrenswert. Wie ein Liebestrank berauschte es mich.“ Sie senkte den Kopf. „Doch dann stürzte alles zusammen. Mein Stolz, meine Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Bewunderung hatten mich zu Fall gebracht.“ Sie lächelte gequält. „Seitdem halte ich mich an den Spruch meiner Eltern: Die besten Freunde sind Bücher.“
„Klingt langweilig.“
„Hat sich aber bewährt.“ Trotzig hob Kelly das Kinn.
„Und dich vom Leben ferngehalten.“
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Warum wagst du dich nicht raus? Immer, wenn du nicht weiterweißt, flüchtest du dich in deine Mansarde. Wie ein liebes, braves Mädchen hältst du dich artig im Hintergrund. Ganz, wie deine Eltern es gewollt haben, Kelly. Du verkriechst dich hinter Büchern, so wie sie sich dahinter verkriechen.“
„Du traust dich doch auch nicht mehr auf ein Pferd“, fuhr sie auf.
„Und du gibst zu schnell auf. Den Schulbus hast du jedenfalls nicht fertig gemacht. Du steckst voller Ängste.“
„Stimmt nicht!“
„Doch. Sogar vor schönen Kleidern fürchtest du dich.“
„Nein, ich brauche sie einfach nicht.“
„Du würdest dich am liebsten unsichtbar machen. Du hast Angst vor deiner eigenen Wirkung. Wenn alle sehen könnten, wie schön du bist …“
„Ich bin nicht schön.“
„Doch.“ Wie eine Verlorene kam sie ihm vor, wie ein Mensch, der nicht wusste, wohin er gehörte. „Es wird Zeit, dass du dich ins Leben wagst“, behauptete er und trat einen Schritt auf sie zu.
Schon wieder?
Zum dritten Mal.
Diesmal näherte Rafael sich Kelly mit Vorsatz. Vorhin, als sie zur Tür gegangen war, hatte er befürchtet, sie könnte in der Nacht verschwinden. Während sie sprach, hatte er ihre Angst gespürt und gehofft, Kelly würde sie beiseiteschieben und ihr wahres Wesen zeigen. Doch sie traute sich nicht, fröhlich und lebensbejahend zu sein.
Wie er ihr helfen sollte, wusste er nicht. Er war kein Psychologe, sondern nur ein Mann, der sah, was in dieser Frau schlummerte. Eigentlich hatte sie als Kass’ Witwe tabu für ihn zu sein. Doch seine Leidenschaft für sie und die Hitze in seinem Körper ließen ihn alle Bedenken vergessen.
Plötzlich war alles ganz einfach. Er begehrte diese Frau, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte. Schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, in Arbeitsstiefeln, durchnässt und mit Schlamm bespritzt, war ein Funke zu ihm übergesprungen. Jede weitere Begegnung hatte das Feuer genährt.
Langsam, um ihr die Gelegenheit zu geben, sich zurückzuziehen, trat er auf sie zu. Doch er ließ auch keinen Zweifel dran, was geschehen würde, wenn sie bliebe. Er brauchte ihr Einverständnis. Kelly war scheu, aber tapferer, als sie dachte. Das wusste er. Trotzdem versuchte sie, ihre emotionalen Bedürfnisse hinter einer kühlen Fassade zu verstecken. Wahrscheinlich schon ihr Leben lang, abgesehen von der entsetzlichen Begegnung mit seinem Cousin …
Er umfasste ihre Taille. Ohne sie an sich zu ziehen, schaute er sie an und stellte ihr wortlos eine Frage.
Zweifel und Unglück las er in ihren Augen, doch sie zog sich nicht zurück, sondern hielt seinem Blick stand.
„Ich möchte dich küssen“, flüsterte er.
„Warum, Rafael, warum?“
„Du bist schön.“
Spöttisch verzog sie die Lippen.
Er blickte an ihr herab und lächelte. „Wir könnten dieses unförmige Ding ausziehen.“
„Daran darfst du nicht mal im Traum denken.“
„Aber ich träume von dir, Kelly. Auch, wie du ohne dieses scheußliche Teil aussiehst.“
„Rafael, hör auf. Du bringst uns in
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