Im Schloss unserer Liebe
das Reiten niemals mit seinem Stand in Verbindung gebracht. Für ihn war es eine Möglichkeit gewesen, sich schnell fortzubewegen und dabei den Gleichklang mit dem Pferd zu genießen. Das Reiten war eine Leidenschaft gewesen, die ihn mit seinem Vater verband.
Bis zu dem Tag, der ihn noch heute in seinen Träumen verfolgte.
Er war in den Ferien nach Hause gekommen. Leider hielt sich auch Kass gerade im Schloss auf und vertrieb sich die Zeit mit einer Gruppe von Freunden. Soweit es möglich war, ging Rafael ihm aus dem Weg. Seinen hochnäsigen und egoistischen Cousin hatte er noch nie gemocht.
Am letzten Tag vor Schulbeginn waren sein Vater und er früh aufgestanden, um in die Berge zu reiten und dort gemeinsam den Sonnenaufgang zu erleben. Das hatten sie immer so gemacht, bevor Rafael wieder abreiste. Dieses Ritual zwischen Vater und Sohn bedeutete beiden sehr viel, obgleich sie niemals darüber sprachen.
Noch in der Dunkelheit waren sie vorsichtig und schweigsam durch den Wald geritten, als plötzlich ein Schuss die Stille zerriss. Der Wallach seines Vaters bäumte sich auf und schleuderte seinen Reiter mit aller Wucht von sich. Niemand wäre mit dem wild gewordenen Tier fertig geworden. Später fand Rafael die Kugel in seinem Hals. Der Schmerz hatte die Panik verursacht.
Sein Vater war so heftig gegen den Stamm einer Eiche geworfen worden, dass ihm das Rückgrat brach. Ein Ast hatte sein Gesicht zerschnitten. Rafael hielt ihn in seinen Armen, als Kass und seine Gesellen durch das Unterholz brachen. Sie hatten die Nacht durchzecht und wollten sich die Zeit bis zum Sonnenaufgang mit Jagen vertreiben.
Alle trugen sie Gewehre bei sich, aber geschossen hatte nur Kass. Während seine Freunde mit Entsetzen auf das, was geschehen war, reagierten, war Kass entweder zu betrunken oder zu arrogant dazu gewesen. Er stieg nicht einmal ab, sondern verspritzte vom hohen Ross herunter sein Gift. „Einem guten Reiter wäre das nicht passiert. Typisch Nebenlinie: Sie erweist sich selten als sattelfest. Und was habt ihr auch, ohne um Erlaubnis zu fragen, in den fürstlichen Wäldern zu suchen?“
Danach hatte er sein Pferd herumgerissen und war davongetrabt. Sollten seine Freunde doch zusehen, wie sie mit dem verletzten Mann und dem verstörten Jungen fertig wurden.
Nach seinem letzten Ausritt hatte Rafael dem Fürstenhaus die Verwandtschaft aufgekündigt.
„Du hasst es so sehr wie ich“, sagte jetzt eine leise Stimme hinter ihm.
Er fuhr herum. „Kelly?“
„Matty hat seine Jacke hier vergessen.“ Sie sah sich um und hob sie auf.
„Ein Angestellter hätte sie holen können.“
„Ich lass nicht andere für mich springen.“ Sie presste die Jacke wie einen Schutzschild gegen ihre Brust und ging zur Tür. Dort drehte sie sich um. „Deine Mutter hat mir erzählt, dass du Pferde hasst. Und sie hat mir auch gesagt, warum.“
„Ich hasse sie nicht. Ich mag nur nicht mehr reiten. Und du?“
„Darüber möchte ich nicht sprechen.“
„Du weißt, warum ich nicht mehr reite. Also erzähl mir, warum du nicht mehr reitest.“ „Früher habe ich Pferde sehr geliebt“, flüsterte sie. „Das ist mir zum Verhängnis geworden.“ Als sie stockte, wurde Rafael ungeduldig. „Sag es mir, Kelly!“
Zögernd begann sie zu sprechen. Von ihrer ersten Begegnung mit Kass, von seiner beeindruckenden Erscheinung auf Blaze, seinen Schmeicheleien, seiner Einladung zum Essen. „Mir war klar, dass er mich verführen wollte. Ich hielt Abstand. Doch dann fragte er mich, ob ich nicht im Morgengrauen mit ihm ausreiten wolle.“
„Ich verstehe“, sagte Rafael tonlos.
„Damals war ich noch jung und viel unerfahrener als andere Mädchen meines Alters. Ich bin in einem Akademikerhaushalt aufgewachsen. Mein Vater hatte ein wenig Geld geerbt, was ihm und meiner Mutter erlaubte, auf einer einsam gelegenen Farm als Privatgelehrte zu leben. Unter Menschen gingen sie eigentlich nur, um Bücher zu kaufen. Das ganze Haus war voll davon. Kinder waren in ihrer Ehe nicht vorgesehen gewesen. Meine Existenz verdanke ich der Unachtsamkeit meiner Mutter. Als sie ihre Schwangerschaft feststellte, war es zu spät gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. Entsprechend wenig hatten meine Eltern für mich übrig. Es gab nur eines, womit ich ihnen eine Freude machen konnte: Wissen in mich hineinzustopfen. Aber meine einzige Freude waren Pferde.“
„Ihr hattet Pferde?“
Traurig lachte Kelly auf. „Gewiss nicht. Meine Eltern liebten die Einsamkeit des
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