Im Sog der Gefahr
klang kurz angebunden, und es war gelogen. Dank des gestrigen Unfalls war er jetzt emotional involviert. Die Umstände brachten sie einander immer näher, aber seine Loyalität zu Thom und seinem Bruder musste Vorrang vor dieser Anziehungskraft haben.
Er half Laura ins Boot, reichte ihr eine Schwimmweste und ruderte sie über den Meeresarm, ohne sich noch einmal umzusehen. Als er am anderen Ufer ankam und hinübersah, waren die Polizisten verschwunden. Laura beobachtete ihn, und ihr entging nicht viel.
»Was?«, fragte er scharf.
»Ich habe noch nie erlebt, dass Sie unhöflich zu einer Frau waren.«
»Ich war nicht unhöflich.«
»Sie macht Sie nervös.« In ihren Augen blitzte es. »Sie mögen sie.«
Er knurrte.
Sie schwieg, aber ihr Grinsen sagte alles.
»Sie ist nur wegen der Ermittlungen hier.« Diese Erinnerung galt sowohl Laura als auch ihm selbst. Er begleitete sie zu Thoms Haus. Als dort niemand öffnete, ging ihm auf, dass er ausgetrickst worden war.
Ein nervöses Zucken machte sich unter seinem rechten Auge bemerkbar. Er rief im Büro an, aber niemand nahm ab.
»Mistkerl.« Er kickte ein Steinchen quer über den Weg.
»Vielleicht gab es einen Notfall?«, mutmaßte Laura. Doch die Schatten in ihren Augen verrieten ihm, dass auch sie es sich denken konnte. Thom hatte die Verabredung platzen lassen. Finn würde seinem Chef kräftig in den Hintern treten, wenn er ihn in die Finger bekam.
9
Da der SUV der RCMP jetzt nur noch ein zerknautschter Klumpen Stahl war, beschloss Holly, zu Fuß vom Meereskundelabor zur örtlichen Bibliothek zu gehen. Sie sollten ein neues, leichteres Fahrzeug zur Verfügung gestellt bekommen, das Steffie am späteren Nachtmittag herfahren würde. Im Moment war Holly nur froh, dass es aufgehört hatte zu regnen.
Jeff war damit beschäftigt, Notizen abzutippen; Corporal Malone und Corporal Chastain führten weitere Tür-zu-Tür-Befragungen durch, wobei sie die Fotos als visuelle Unterstützung benutzten. Messenger versuchte, eine Liste aller Taucher aufzustellen. Holly selbst hatte andere Pläne.
Das Knacken eines brechenden Asts im Wald, knapp außerhalb ihres Blickfels, ließ sie herumfahren. Ihr Herz hämmerte.
Nur der Wind oder ein Bambi, das im Wald spielt.
Hohe Bäume ragten hoch über ihr auf; flüsternd strich der Wind durch die Nadeln und brachte sie zum Rascheln. Eine archaische Angst kroch ihr in die Knochen und ließ sie größere Schritte machen.
Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Mit der Hand auf ihrer Smith & Wesson fing sie an zu laufen. Es tat weh, aber das Training würde ihr guttun.
Ja, genau, das ist der einzige Grund, aus dem du rennst.
Als sie um die Ecke bog, sah sie die Schule, in der sich auch die Bibliothek befand. Erleichtert drosselte sie ihr Tempo zu einem strammen Gehen und winkte einigen Kindern zu, die in ihre Richtung sahen.
Seht ihr, Kinder? Ich habe überhaupt keine Angst. Allerdings scheine ich selbst ziemlich Furcht einflößend auszusehen, wenn man nach den entsetzten Gesichtern geht.
Kein Wunder, dass sich Finns Verhalten ihr gegenüber heute um hundertachtzig Grad gewandelt hatte. Nicht dass sie sich näher mit der Spannung befassen wollte, die gestern Abend zwischen ihnen geknistert hatte, aber als sie vorhin auseinandergegangen waren, hatte seine unerwartete Kälte geschmerzt – und
das
hatte sie wirklich entsetzt.
Männer hatten nicht mehr die Macht, sie zu verletzen, nachdem der letzte Mann, in den sie sich verliebt hatte, aus ihrem Bett gestiegen war, um am Handy zu erfahren, dass bei seiner Frau vorzeitige Wehen eingesetzt hatten.
Scheißkerl!
Selbst jetzt noch meldete sich der Würgereiz in ihrer Kehle. Sie ignorierte ihn. Heute ging es nur darum, den Schein zu wahren und ihre Arbeit zu machen. Sie war nicht verletzt und auch nicht bis auf die Knochen gedemütigt, und sie sah einfach fabelhaft aus.
Sie umrundete das Gebäude und betrat es durch den Haupteingang. Im ersten Raum war niemand, daher ging sie weiter und kam in das Atrium der Schule, das mit Stühlen, Teppichen und Regalen voller Kinderbücher ausgestattet war. Nachdem sie sich umgesehen hatte, klopfte sie an die Glastür eines Büros. »Hallo, ich suche die Bibliothekarin.«
Die Frau in dem Büro war Ende dreißig oder Anfang vierzig, hatte braune Locken und hübsche Augen. »Das bin ich. Sie müssen der Mountie sein, der von der Straße abgedrängt wurde.«
Neuigkeiten verbreiteten sich hier schnell. »Wie haben Sie das erraten?« Holly verzog
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