Im Sog der Gefahr
Fehler bezahlen.«
Als Holly sich bei ihm unterhakte, musste er jeden Funken Selbstbeherrschung zusammennehmen, um sich dieser fordernden Berührung nicht zu entziehen. Und um sie nicht zu packen und sich über ihre geschwollenen Lippen herzumachen, nur um das Thema zu wechseln. Ja, klar, das war der einzige Grund, aus dem er sie küssen wollte.
»Da spricht das Kind aus Ihnen, nicht der vernünftig denkende Erwachsene.«
Wenn es um die Beziehung zu seinem Bruder ging, war es schwer, die beiden auseinanderzuhalten.
»Dieser Mann hätte Sie beide nie behalten dürfen, nachdem Ihre Mutter Sie verlassen hat.« Plötzlich sah sie erbitterter aus denn je. »Er war ein Monster. Sie und Ihr Bruder, Sie haben nur getan, was Sie tun mussten, um zu überleben.«
»Sie haben recht.« Finn hielt die Luft an und versuchte, den Blick auf die Fischadler zu richten, statt auf seine Erinnerungen. »Aber Brent hätte mich nicht retten müssen. Er hätte nur sich selbst retten müssen. Dann wäre er nicht all die Jahre im Knast verrottet.«
Sie legte eine Hand an seine Brust, und sein Herz geriet ins Stolpern. Mit beiden Händen packte er ihre Schultern. Ihre Lippen bewegten sich, aber er brauchte einen Moment, bis er ihre Worte verstand, weil sein Blut so stürmisch Richtung Süden rauschte, dass er nichts anderes hören konnte als sein verzweifeltes Verlangen, in ihr zu sein.
»Ich hatte nie einen kleinen Bruder.« Gerade, weiße Zähne fingen ihre Unterlippe ein. »Ich habe mir immer einen gewünscht, und manchmal habe ich sogar so getan, als hätte ich einen. Aber nach meiner Geburt konnte meine Mutter keine Kinder mehr bekommen.« Ihre Augen wurden tiefschwarz. »Hätte ich einen Bruder gehabt, dann hätte ich ihn genauso beschützt, wie Brent Sie beschützt hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Das macht nichts wieder gut, aber ich verstehe es.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Ich verstehe es wirklich.«
Sie trat einen Schritt zurück. Ihre Brust hob und senkte sich, als wäre sie gerannt – oder hätte Schmerzen. »Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich einen Mörder suche. Und ich werde mich nicht von Gefühlen daran hindern lassen, meine Arbeit zu tun. Ganz egal,
wer
der Schuldige ist.«
Während er versuchte, seinen Puls unter Kontrolle zu bringen – den Puls, der normalerweise immer ungerührt blieb –, ging ihm ein Licht auf. »Sie können über das Finanzamt herausfinden, womit Brent seinen Lebensunterhalt verdient, oder?«
»Vorausgesetzt, er sagt denen die Wahrheit, ja.« Als sie ihn ansah, wusste er, dass sie sich dort bereits erkundigt hatte. Sie hatte ihn auf die Probe gestellt. Er wollte wütend auf sie sein, aber alles, was er empfand, war eine wirre Mischung aus Hitze und Taubheit. Er war heiß auf sie und wie betäubt gegenüber seinen Erinnerungen.
»Er ist selbstständig.« Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. »Soll ich Ihnen sagen, was er macht?«
Der Drang, es zu erfahren, war so stark, dass er beinahe daran erstickte. »Nein. Ich möchte, dass er es mir selbst sagt.« Und das würde nie passieren.
Ihr Blick wurde sanfter. »Hat Brent Len Milbank gekannt?«
Er trat einen Schritt auf sie zu und wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. »Nicht dass ich wüsste.« Dafür würde er in der Hölle schmoren.
»Hat er von dem Wrack gewusst?«
Obwohl er Integrität immer hochgeschätzt hatte, war er im Moment womöglich dabei, seine eigene zu verlieren. Er beugte sich zu ihr hinunter und sah ihr fest in die Augen, während seine Lippen sich ihren näherten. »Nicht dass ich wüsste«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie schluckte schwer, und er sah mit Befriedigung, dass ein Zittern über ihre Haut lief und eine Gänsehaut hinterließ. Dann griff sie in sein T-Shirt und versuchte, ihn zu schütteln. »Würde dein Bruder mich von der Straße abdrängen?«
Wieder wollte er lügen. Doch er konnte nicht. »Ich weiß es nicht.« Er schloss die Augen, sein ganzer Körper zitterte unter der Anstrengung, sie nicht an sich zu reißen und in die Wärme ihres Schoßes einzudringen. Er ließ den Kopf sinken. »Ich wünschte, ich wüsste es.«
Über ihnen erklang ein wilder Schrei, als zwei Steinadler im Sturzflug heranrauschten und die Fischadler vertrieben. Finn nahm seine Kraft zusammen, rückte ein Stück von ihr ab und richtete den Blick aufs Meer. Ein Strahl Sprühnebel im flachen Wasser verriet ihm, dass ein Wal die kleinen Fische in Ufernähe fraß. Holly trat hinter ihn, und eine
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