Im Sog der Sinnlichkeit
Dieser Heuchler würde ihm jeden Posten verschaffen, wenn er ihm drohte, seine Teilnahme an einem Ritualmord öffentlich zu machen. Und jener junge Earl würde sich nicht weigern, seine Aufnahme in dem exklusiven Club zu befürworten. Der stramme Bursche würde ihm auch im Bett zu Willen sein, wenn er ihm mit Bloßstellung drohte. Er konnte alles erreichen; seiner glänzenden Karriere stand nichts mehr im Wege, lediglich die Andeutung einer kleinen Erpressung würde ihm alle Türen öffnen.
Brandon Rohan zum Scharfrichter zu erwählen, war ein Geniestreich. Die einzige Methode, um Benedick Rohan unter seine Kontrolle zu bringen, der sich nicht für die harmlosen Spiele des Satanischen Bundes erwärmen konnte. Er bot auch keine Angriffsfläche für eine Erpressung. Aber wenn es darum ging, seinen jüngsten Bruder zu beschützen, würde er alles tun. Er würde nicht tatenlos zusehen, wie Brandon Rohan wegen Mordes verurteilt und gehängt wurde.
Es war geradezu lächerlich einfach gewesen. Es hatte keiner großen Überredungskunst bedurft, um Rohans Opiumsucht zu schüren. Und sein Alkoholkonsum wurde durch den Zusatz gewisser Substanzen gesteigert. Mutterkorn löste seligmachende Glückszustände aus oder grauenerregende Horrorvisionen – je nach geistiger Verfassung, Visionen, die einen Menschen in den Wahnsinn treiben konnten.
Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Brandon Rohan etwas vom Starrsinn seines Bruders in sich haben könnte, womit er die sorgfältigen Pläne des Großmeisters beinahe zum Scheitern gebracht hätte. Gestern Nacht hatte er ihm die Einzelheiten erläutert. Immerhin war dem jungen Rohan als ehemaligem Soldaten das Töten keineswegs fremd. Überdies gab es Gerüchte über einen unerfreulichen Zwischenfall in seiner Dorfgemeinde; man hatte schleunigst dafür gesorgt, dass sie verstummten. Dem Großmeister war es bisher nicht gelungen, Näheres darüber in Erfahrung zu bringen, aber er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben. Früher oder später blieb ihm nichts verborgen.
Aber Brandon Rohan hatte sturzbetrunken und vollgepumpt mit Opium im Stuhl gehangen, hatte mit glasigem Blick auf den reich verzierten Dolch gestarrt, den der Großmeister extra für diesen feierlichen Anlass hatte anfertigen lassen, und dann gesagt: „Nein. Niemals. Nie im Leben.“ Und seine Stimme hatte klar geklungen, so als sei er völlig nüchtern.
Doch der Großmeister war kein Mann, der sich so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Er hatte seinem widerstrebenden Opfer einfach noch mehr Schnaps eingeflößt. Ohne Erfolg. Irgendwann verlor Brandon, dieses strikte Nein immer noch auf den Lippen, das Bewusstsein.
Es war unwichtig. Die Wahrheit würde er sowieso nie erfahren. Er hatte Brandon Rohans leblosen Körper von seinen Lakaien in eine Opiumhöhle in den verrufensten Winkel des Elendsviertels im East End karren lassen. Dort würde man ihn tagelang nicht finden, wenn er dann überhaupt noch lebte. Seine Schergen hatten den Auftrag, Rohans Kutte mit Blut zu beschmieren und ihm den blutigen Dolch in die Hand zu drücken. In weiser Voraussicht hatte er zwei identische Dolche anfertigen lassen. Wenn Rohan erwachte, wäre er davon überzeugt, den Mord begangen zu haben. Nicht Zeuge seines Entsetzens sein zu können, bedauerte der Großmeister allerdings sehr.
Aber er hatte andere Verpflichtungen. Die Mönchsgewänder, die von der Bruderschaft getragen wurden, unterschieden sich in nichts voneinander, und die tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen garantierten völlige Anonymität. Er musste lediglich Brandon Rohans hinkenden Gang nachahmen, und jeder würde in dem Schlächter den verkrüppelten Kriegshelden vermuten.
Wahrlich, er hatte alles so wohl durchdacht, dass er über sich selbst staunte. Ein Kichern stieg in ihm auf, das er rasch mit einer Hand vor dem Mund erstickte. Aber niemand hatte es gehört. Das einzige Geräusch kam von der gefesselten Lady Carstairs, mit der er eigene Pläne hatte.
Ganz besondere Pläne.
32. KAPITEL
N iemand kann behaupten, dachte Benedick Rohan, herumzusitzen und abzuwarten sei weniger heroisch, als sich in den Kampf zu stürzen. Zur Untätigkeit verdammt zu sein, war unerträglich. Er war in seinem eigenen Haus gefangen mit seiner lästigen Schwester und ihrem schurkischen Ehemann. Allein in seinen Privatgemächern zu speisen, erschien ihm zu kindisch, also zwang er sich, die Mahlzeiten mit dem Skorpion und Miranda einzunehmen, die der Schuft entführt und zur Heirat
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