Im Sommer der Sturme
hatte sie keine Ahnung, wo ihr Vater war, aber das konnte sie nicht sagen. »Ich … ich werde ihn suchen, Sir.«
»Richte ihm aus, dass er Benito St. Giovanni rufen soll. Und zwar sofort!«
»Father Benito?«
»Du hast mich genau verstanden, Mädchen! Fort mit dir! Und dass du mir nicht trödelst!«
Sie knickste hastig und lief die Treppe hinunter. Als sie sich schon in Sicherheit glaubte, hielt seine Stimme sie noch einmal auf. In Erwartung eines weiteren Auftrags sah sie nach oben, doch Frederic Duvoisin stand wie versteinert da und starrte vor sich hin, als eine Melodie aus dem Wohnraum an sein Ohr drang. »Sir?«, fragte sie unvorsichtigerweise. »Gibt es noch etwas?«
»Woher kommt diese Musik?«
»Aus dem Wohnraum, Sir. Miss Ryan übt das Stück schon den ganzen Abend über, Sir.«
»Sag ihr, dass sie aufhören soll! Sie soll die Noten verbrennen!«
Millie war verwirrt. »Sir?«
»Ich verbiete ihr, dieses Stück zu spielen. Wenn ich noch einen einzigen Ton höre, ist sie entlassen! Na los, sag es ihr endlich!«
Er ist verrückt! Millie riskierte noch einen kurzen Blick, bevor sie mit fliegenden Röcken die restlichen Stufen hinunterrannte und ins Foyer flüchtete. Wenige Augenblicke später verstummte die Melodie, und Stille legte sich über das große Haus.
Father Benito St. Giovanni wurde zur Unzeit rüde aus dem Schlaf gerissen. Um elf Uhr nachts ließ ihn unablässiges Hämmern an seiner Tür hochfahren, und kaum eine Stunde später stand der Priester, der sein Dasein John und Paul Duvoisin verdankte, vor deren Vater. Natürlich hatte er von Frederics selbstmörderischem Fasten gehört und erwartet, ihn dem Tode nahe vorzufinden. Aber dem war nicht so. Nun gut, aber wozu dann die Eile? Frederics wilde Blicke verhießen nichts Gutes. Erwartungsvoll neigte er den Kopf und wartete.
»Also gut, Father«, setzte der Herr von Charmantes an und nahm einen großen Schluck Brandy, der allerdings nicht beruhigend wirkte, sondern seinen Zorn und seine Wachsamkeit schärfte. »Ich möchte einen Namen von Ihnen erfahren, und zwar sofort.«
Benito runzelte die Stirn und hielt sich erst einmal zurück, damit sich der gequälte Mann näher erklären konnte.
Frederic lehnte sich zurück und wunderte sich über die vorgetäuschte Unwissenheit. Er hatte die Frage in ruhigem Ton gestellt, und ganz offensichtlich war Father Benito der Meinung, dass er nichts zu befürchten hätte. Er würde allerdings bald genug merken, dass er sich irrte. Falls er weitere Erklärungen brauchte, so sollte er sie haben. »Aber, aber, Father, Sie müssen nicht so tun, als wüssten Sie nicht, weshalb Sie gerufen wurden. Sie wissen doch, dass ich es auf jeden Fall herausfinden werde?« Er schmunzelte spöttisch.
Der Priester starrte zu Boden, und Frederic weidete sich an seiner Verlegenheit. »Nun …« Wegen des Effekts legte er eine kleine Pause ein und trank noch einen Schluck. »Ich weiß, dass Sie meiner Frau die Letzte Ölung gespendet haben. Also wissen Sie genau das, wonach ich suche.« Seine Stimme klang beißend scharf. »Ich fordere den Namen des Mannes, der den Bastard im Leib meiner Frau gezeugt hat!«
Benito schloss die Augen. Woher hatte Frederic Duvoisin diese Information? Was soll ich ihm sagen? Er mühte sich, sein pochendes Herz zu beruhigen und seine panischen Gedanken zu sammeln.
» Nun? «, fragte Frederic. Es wurde Zeit, dem Spiel ein Ende zu machen! »Leugnen Sie nicht, dass Sie den Namen wissen. Dazu kenne ich meine Frau zu gut. Was ihren Ehebruch angeht, so weiß ich, dass sie angesichts des Todes jede Sünde gebeichtet hat. Und sie wusste, dass sie sterben würde. Ich war hier, als Sie an ihr Bett gerufen wurden, und weiß, dass Sie sie von allen Sünden freigesprochen haben – von allen! Noch einmal: Ich verlange den Namen ihres Liebhabers. Wenn Sie wissen, was für Sie gut ist, dann antworten Sie rasch! Er wird wünschen, dass er nie geboren wäre – und weder Sie noch sonst jemand auf dieser verdammten Insel werden mich an meiner Genugtuung hindern!«
Der Priester wurde blass. Ganz gleich, was er sagte – seine Stellung auf Charmantes stand auf jeden Fall auf dem Spiel. Irgendwie musste er diesen Mann beruhigen. Er hob den Kopf und versuchte es mit Mitgefühl. »Es ist wirklich betrüblich, dass Sie das Schlimmste von ihrer verstorbenen Frau glauben müssen. Doch was sie mir unter dem Sakrament der Beichte anvertraut hat oder auch nicht, wird niemals über meine Lippen kommen. Sie wissen, dass ich
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