Im Sommer der Sturme
immer eingebüßt. John würde seine illegitime Geburt niemals vergessen und seine Bemühungen stets ins Lächerliche ziehen, wenn er sich des Namens Duvoisin würdig erweisen wollte. Doch warum kümmerte es ihn überhaupt? Weil ich John ganz tief in meinem Inneren respektiere , musste Paul zugeben. Bastard … dieses Etikett, das ihm ein Leben lang anhaftete und ihn verfolgte. Aber bis zu der Nacht vor vier Jahren hatte John sich nie dafür interessiert. Seitdem jedoch benutzte er den Begriff als Waffe, die er bei jeder Gelegenheit einsetzte. Paul stieß die Luft aus und schloss die Augen. Plötzlich stand ihm ihr Vater vor Augen. Hart und erbarmungslos, wie er war. Trotz all seiner Beteuerungen und trotz seines Lobs für seinen adoptierten Sohn war John der legitime Erbe des Familienvermögens, und Pierre folgte ihm in direkter Linie. Vielleicht hatte er kein Recht auf etwas, das er nicht war, kein Recht auf einen Platz in der Ahnenreihe der männlichen Duvoisins, denn die Umstände seiner Geburt versagten ihm diesen Platz. Und sein Temperament. War der heutige Abend nicht Beweis genug? Ein wahrer Gentleman hätte sich niemals so betragen – und zwar ganz gleich, ob er im Recht war oder nicht.
»Guten Abend …«, drang es sanft an sein Ohr.
»Guten Abend«, erwiderte Paul, während er aufstand und einen Schritt auf die weibliche Gestalt zuging. »Ich dachte, Sie würden längst schlafen.«
»Das war unmöglich«, sagte Charmaine schüchtern. »Und was ist mit Ihnen? Konnten Sie auch nicht schlafen?«
»Ich war so vernünftig, es gar nicht erst zu versuchen. Sollen wir ein Stück gehen?«
Ohne Zögern war Charmaine einverstanden. Sie war lediglich ein wenig enttäuscht, als er die Hände auf dem Rücken verschränkte und nachdenklich neben ihr herging.
»Ich möchte mich für das Benehmen meines Bruders entschuldigen«, sagte Paul nach einer Weile. »Und ebenso für mein eigenes. Ich habe John erlaubt, meine Geduld zu strapazieren, und Sie dadurch verletzt. Es tut mir leid, dass ich mein Versprechen nicht gehalten habe.«
Verwirrt sah Charmaine ihn an.
»Vergeben Sie mir?«, fragte er.
»Vergeben? Was, um Himmels willen, sollte ich Ihnen vergeben? Sie sagten, dass Sie mir zur Seite stünden, und das haben Sie getan. Was konnte ich mehr verlangen? Für Ihren Bruder müssen Sie sich wirklich nicht entschuldigen. Das muss er ganz allein besorgen, auch wenn ich nicht damit rechne. Ich bin überrascht, dass man einen solchen Mann als Gentleman bezeichnet. Ich dachte immer, dass Gentlemen die Dinge wie zivilisierte Menschen lösen, so wie Sie das mehrmals während des Abends versucht haben. Aber wenn man es nicht mit einem Gentleman zu tun hat …«
»Charmaine.« Paul lachte leise. Innerlich jubelnd er griff er ihre Hand und drückte sie. »Die Götter müssen Sie heute Nacht in den Garten geschickt haben … Mit all Ihrer Klarheit und Ihrer Überzeugungskraft.«
»Wie bitte?«
Obgleich sie ein wenig verwirrt war, ließ sie sich von seiner Hochstimmung mitreißen.
»Sie haben soeben mein Selbstbewusstsein wieder hergestellt, und dafür danke ich Ihnen. John kann sehr ernüchternd auf Menschen wirken. Er zwingt einen, sich selbst ins Gesicht zu sehen, auch wenn man das gar nicht will. Heute Abend war ich sein Opfer.«
»Ernüchternd? Im Zusammenhang mit Ihrem Bruder würde mir dieses Wort nie einfallen.«
»So sieht es leider aus«, stimmte er zu. »Aber warten Sie nur, bis er vollkommen nüchtern ist. Sein beißender Witz war heute Abend eher stumpf. Für gewöhnlich ist er noch viel schlimmer.«
» Noch schlimmer? « Charmaine war entsetzt. »Wie kann ich ihm nur aus dem Weg gehen?«
Pauls Stimmung war unverändert gut. »Gehen Sie mit den Kindern einfach nach draußen. Das Wetter ist im Moment wunderschön. Die Kinder werden den Tag an der frischen Luft sicher genießen. Sie können ja vielleicht ein Picknick veranstalten.«
»Für morgen ist das eine gute Idee«, entgegnete Charmaine, »aber was sollen wir am nächsten Tag machen? Und am übernächsten?«
»John wird dieser kleinen Spielchen bald überdrüssig werden. Außerdem gibt es keinen Grund, dass er länger auf Charmantes bleibt.«
»Warum ist er überhaupt hier?«
Angesichts ihres Interesses wählte Paul seine Antwort mit Bedacht. »Espoir hat ihn neugierig gemacht. Aber wenn er alles überprüft hat und mit der Sache zufrieden ist, fährt er wieder nach Virginia zurück.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ich weiß es. Die
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