Im Sommer der Sturme
Sie auf Charmantes leben. Ich glaube nicht, dass Robert gern jemanden betreut, der seinen Namen so eifrig besudelt.«
»Ich sagte doch nicht …«
»Wirklich nicht?«, zischte die Witwe. »Machen Sie lieber, dass Sie …«
»Was geht hier vor?«
Der feindliche Gesichtsausdruck verschwand, und Agatha starrte entgeistert über Charmaines Schulter. »Frederic!« Sie erholte sich rasch. »Das nenne ich eine Überraschung!«
Charmaine fuhr herum und sah sich zu ihrer Verblüffung dem berühmten Frederic Duvoisin gegenüber. Er stützte sich schwer auf seinen schwarzen Stock, und dennoch strahlte seine Erscheinung Macht und Stärke aus. Er war etwas größer als Paul und trug bequeme, maßgefertigte Kleidung. Ein imposanter, gut aussehender Mann. Einige graue Strähnen belebten sein Haar, das nicht ganz so dunkel war wie das seines Sohnes. Sein Kinn war ausgeprägt und frisch rasiert, seine Nase war lang und gerade, und schmal waren seine Lippen.
»Sind Sie mit dem Anblick zufrieden, Miss Ryan?«, fragte er mit leicht undeutlicher Aussprache und kaum verhüllter Ironie. Er wusste, wer sie war! »Gefällt Ihnen der Krüppel, Mademoiselle?«
»Sie sind kein Krüppel, Sir«, entgegnete sie ruhig.
Ihre Reaktion überraschte ihn. Er schnaubte ein wenig und wandte sich dann an Agatha. »Hat Miss Ryan etwas getan, was dich empört?«
»Sie hat die Kinder unbeaufsichtigt gelassen.«
»Wo?«
Agatha reckte die Nase in die Luft. »In Colettes Salon.«
»Und wo ist meine Frau?«
»Bei ihnen.«
»Demnach sind sie nicht unbeaufsichtigt, nicht wahr? Colette ist immerhin ihre Mutter.«
»Das ist richtig, Frederic, aber sie ist nicht gesund. Deshalb wurde Miss Ryan ja eingestellt. Doch wozu braucht man eine Gouvernante, wenn sie sich nicht um ihre Schutzbefohlenen kümmert?«
»Nun, Miss Ryan?«, wandte sich Frederic an Charmaine.
»Ihre Frau hat mir aufgetragen, die Geschenke der Kinder zu holen.«
»Aha.« Er sah Agatha an.
»Wenn ich das gewusst hätte … Miss Ryan hat nichts von Geschenken gesagt.«
»Sie haben mir keine Gelegenheit dazu gegeben.«
Agatha knirschte mit den Zähnen. Die Debatte war nicht mehr zu gewinnen. Besser, sie schluckte ihren Stolz hinunter. Sie murmelte eine Entschuldigung und ging.
Charmaine sah ihr einen Augenblick lang nach, bevor ihr Blick zu Frederic Duvoisin zurückkehrte. Sie ahnte, weshalb sich Colette von diesem Mann angezogen gefühlt hatte, der im Grunde ihr Vater sein konnte. Im Vergleich zu Paul mit seiner jugendlichen Ausstrahlung war Frederic ein beeindruckender und vornehmer Mann. Früher hatten ihm sicher alle Frauen zu Füßen gelegen. Ob er um seine faszinierende Ausstrahlung wusste? Ja, ganz bestimmt sogar. Selbst in seinem Zustand wusste er darum.
»Miss Ryan«, unterbrach Frederic Duvoisin das Schweigen, »wenn ich mich recht erinnere, sollten Sie etwas für meine Frau holen?«
»Oh, ja.« Charmaine eilte ins Kinderzimmer und fühlte sich unbehaglich, als er ihr folgte und seine Behinderung bei jedem Schritt deutlich zu merken war. Mit Sicherheit verbot er sich jedes Mitleid, also beachtete sie ihn nicht und suchte im Schrank nach den Geschenken. Als sie sich umdrehte, stand Frederic an der Mauer und betrachtete das Loch. Im Moment wurde nicht gearbeitet. Vermutlich machten die Männer Pause. Nach Pauls Aussage hatte sein Vater den Umbau genehmigt. Was er wohl dachte?
»Ich wollte mir den Fortschritt der Arbeit ansehen, nachdem ich den ganzen Vormittag über das Gehämmer gehört habe«, sagte er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. »Außerdem wollte ich ein wenig Zeit mit meinen Töchtern verbringen.« Er sah Charmaine an. »Sie gefallen meiner Frau, Miss Ryan.«
»Und ich bin froh, dass ich hier sein darf. Ich mag Ihre Kinder sehr, und Ihre Frau ist wirklich liebenswert.«
»Dem kann ich nur zustimmen«, erwiderte er mit einem Leuchten im Blick. »Und wenn Sie in Zukunft hier unten bei den Kindern wohnen, kann sie völlig beruhigt sein, weil Sie immer in der Nähe sind.«
»Ja, Sir.« Demnach hatte er seine Zustimmung gegeben. Auch wenn er seine Räume nur selten verließ, war er doch über alles unterrichtet, was im Haus vorging. Der Klatsch war also falsch.
»Wie ich sehe, haben Sie die Pakete gefunden. Sollen wir gehen?« Er nickte in Richtung des Korridors, und es war klar, dass er sie begleiten wollte.
»Aber natürlich. Die Mädchen fragen sich sicher schon, wo ich so lange bleibe.«
Wieder humpelte er hinter ihr her, und Charmaine ging
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