Im Sommer der Sturme
Überraschung?« Charmaines Blick wanderte von einem zum anderen, bis er schließlich bei Paul hängenblieb. Doch der zog nur in gespielter Überraschung die Brauen in die Höhe.
Als der kleine Pierre wieder losplappern wollte, flog plötzlich die Küchentür auf, und Fatima stürzte mit einem großen Kuchen herein. »Happy Birthday!«, brüllten die Kinder.
Überrascht schlug Charmaine die Hand vor den Mund. »Und woher wisst ihr das?« Dabei entging ihr Agathas verächtlich gerunzelte Stirn.
Colette lächelte. »Beim ersten Picknick haben Sie Ihr Geburtstagsdatum erwähnt, und Jeannette hat es mir sofort berichtet. Ich habe gehofft, dass sie sich nicht verhört hat, denn ich konnte Sie ja schlecht fragen, ohne Verdacht zu erregen.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, murmelte Charmaine und spürte mit einem Mal, wie sehr ihr die Familie inzwischen ans Herz gewachsen war.
»Sie müssen nichts sagen«, piepste Jeannette.
»Oh, doch«, widersprach Yvette. »Sie muss sagen, wie alt sie ist.«
»Ich bin neunzehn, und ich hoffe, dass ich noch viele Geburtstage mit euch feiern darf.«
Zufrieden verlangten die Kinder, dass sie den Kuchen anschnitt.
Colette half Pierre aus dem Stühlchen, und er rannte mit einem Päckchen zu Charmaine hinüber. »Happy Bir thday«, sagte er und gab ihr einen Kuss.
»Was ist denn das?«
»Ein Geschenk.«
Charmaine öffnete das Kästchen und erblickte zwei wunderschöne, kunstvoll geschnitzte und sicher sündteure Kämme aus Elfenbein. Begeistert sah sie Colette an. »Wo haben Sie denn nur solche Kostbarkeiten aufgetrieben?«
»In Maddys Laden.« Colette deutete auf ihren Komplizen. »Ich habe Paul gebeten, sie auszusuchen.«
»Sie müssen sie jetzt öfter tragen«, drohte er ihr im Spaß. »Es hat mich fast einen ganzen Vormittag gekostet, um sie auszusuchen.«
»Vielen Dank«, sagte Charmaine und wusste nicht recht, wie sie solche Großzügigkeit jemals entgelten sollte. »Jetzt will ich aber auch alle anderen Geburtstage wissen. Colette?«
»Mama und Pierre haben am selben Tag, am einunddreißigsten März«, verriet Yvette.
»Ist das wahr?«
Colette nickte, und Charmaine sah Paul an.
»Schluss damit, Charmaine.« Er durchschaute ihre Beweggründe genau. »Fatima kennt unsere Geburtstage alle auswendig.«
In ihrem Glück blieb Charmaine nichts anderes übrig, als endlich den Kuchen zu verteilen.
Mittwoch, 21. Dezember 1836
Paul traf seine letzten Reisevorbereitungen. Am Tag nach Weihnachten würde er Charmantes verlassen, und zwar an Bord der Black Star , die gestern im Hafen festgemacht hatte. Das erste Ziel waren verschiedene Häfen im Süden wie Newport’s News, Richmond und Baltimore, dann war New York an der Reihe und schließlich England. Er hatte insgesamt drei Monate vorgesehen, um den Bau von drei Schiffen in Auftrag zu geben, ein viertes Schiff zu kaufen und eine erfahrene Crew anzuwerben, um die Insel Sacré Espoir, was Heilige Hoffnung bedeutete, zu roden und die Pflanzungen anzulegen und zu kultivieren. Anschließend wollte er nach Hause zurückkehren und sofort mit der Arbeit beginnen. Er war sehr glücklich.
Charmaine dagegen war etwas melancholisch. Paul hatte zwar versprochen, vor Ostern zurückzukommen, doch die Wochen bis dahin würden lange und einsam sein. Sie war auf dem besten Weg, sich in ihn zu verlieben – und das, obwohl er sich ihr seit drei Monaten höchstens auf Armeslänge näherte. Sie würde ihn sehr vermissen. Allein schon seine Anwesenheit im Haus, seine fröhliche Art, die kleinen Höflichkeiten, wenn er den Stuhl für sie zurechtrückte oder ihr die Tür aufhielt, und nicht zuletzt sein mitreißendes Lächeln, das ihr Herz immer heftig schlagen ließ. Wenn er sie doch wenigstens ein einziges Mal geküsst hätte.
An diesem Tag wurde Mr. Westphal zu seinem zweiten Besuch erwartet, um mit Paul und Frederic die letzten Vorbereitungen zu besprechen. Frederic Duvoisin musste noch Belege unterzeichnen, damit sein Sohn mit den nötigen Mitteln für die Reise ausgestattet werden konnte, und im Anschluss daran würde er zum Dinner bleiben.
Agatha Ward schlenderte den ganzen Tag über so vergnügt im Haus umher, dass Colette und Charmaine sich bereits über ihr ungewohntes Benehmen wunderten. Kurz nach Ankunft des Bankiers saßen sie am Nachmittag draußen unter den Säulen und tranken ein Glas Eistee. Das Wetter war wunderschön, und die Kinder tobten auf der großen Wiese vor dem Haus herum. Yvette kümmerte sich um ihren
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