Im Sommer der Sturme
rechtlichen Seite? Richecourt und Larabee werden sicherlich Kontakt zu John aufnehmen.«
»Der Besuch ihrer Kanzlei steht ganz oben auf meiner Liste, sobald ich in Richmond ankomme. John hat sich Edward Richecourt zum Feind gemacht. Also dürfte Mr. Richecourt mit dieser Sache geschickt und vertrauensvoll umgehen. Und das umso mehr, als die Geschäfte meines Vaters seine Kanzlei am Leben erhalten. Ich gehe davon aus, dass er Stillschweigen über Espoir bewahren wird.«
Colette hielt nichts von derartigen Heimlichkeiten. Nicht dass sie Paul Vorwürfe machte, denn Johns Nadelstiche waren unerbittlich. Aber das waren genau die Unannehmlichkeiten, die Paul eigentlich vermeiden wollte. Mit Sicherheit würde die Heimlichtuerei auf ihn zurückfallen. John erfuhr alles, und sei es, weil er skrupelloser war als sein Bruder. Er war dafür bekannt, alle Regeln zu brechen.
»Nachdem das geklärt ist, wüsste ich gern, ob ich mit Ihrem Stillschweigen rechnen kann, Stephen?«
»Wenn Sie darauf bestehen, wird Anne nichts davon erfahren.«
Paul lehnte sich zufrieden zurück. »Und was schreibt Ihre Tochter sonst noch? Irgendwelche Begebenheiten in Richmond, die ich wissen sollte, bevor ich dorthin fahre?«
»Nun …« Der Banker räusperte sich, während sein Blick über den Tisch irrte und schließlich bei Agatha innehielt. »Sie erwähnt auch Ihre Gouvernante.«
Überrascht über die unerwartete Wendung beugte sich Paul nach vorn und fixierte Mr. Westphal. »Ach wirklich? Und was schreibt sie?«
»Nun …« Wieder räusperte sich der Bankier und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her, weil aller Augen auf ihn gerichtet waren. »Ich weiß nicht recht, ob ich das sagen kann … Zumindest nicht in Gegenwart der Kinder.«
Charmaines Herz schlug schneller. Das Verhängnis nahm seinen Lauf, und sie konnte es nicht aufhalten.
Paul kratzte sich am Kopf. Ganz offensichtlich hatte der Mann etwas Verfängliches herausgefunden, das nicht für Kinderohren bestimmt war. »Woher weiß Ihre Tochter von unserer Gouvernante? Ist ihr etwa zufällig eine Information in den Schoß gefallen?«
»Streng genommen hat Mrs. Ward vor einigen Monaten ihre Bedenken geäußert«, antwortete er. »Aus Sorge um Miss Ryans Herkunft kam sie in die Bank und fragte, ob Anne in dieser Sache vielleicht nähere Erkundigungen einziehen könne.«
»Agatha?«, fragte Paul verärgert. Er sah die Genannte direkt an. »Und in wessen Auftrag, wenn ich fragen darf?«
»In meinem eigenen Auftrag«, antwortete Agatha hochfahrend. »Ich habe es auf meine Kappe genommen, mich an Stephen Westphal zu wenden. Ich hatte berechtigte Einwände gegen Miss Ryan, die niemand hören wollte. Und da es außer Mrs. Harringtons Versicherungen keinerlei Referenzen gab, fühlte ich mich aus Sorge um die Kinder verpflichtet, eigene Nachforschungen anzustellen.« Sie holte tief Luft. »Ich danke Gott, dass Stephens Tochter mir behilflich war. Meiner Ansicht nach sind die Kinder in ernster Gefahr. Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen habe ich mir ausgemalt, was sie aufdecken würde. Es ist noch weit schlimmer, als wir uns das vorstellen können.«
Colette beherrschte ihre Empörung nur mühsam. »Ich bin der Meinung, dass Mr. Westphal einen geeigneteren Augenblick für seine Mitteilungen hätte wählen können, ohne auch noch meine Kinder in die Sache hineinzuziehen.«
»Colette hat recht«, kam ihr Paul zu Hilfe. »Rose, wä ren Sie bitte so freundlich, die Kinder in ihr Zimmer zu bringen?«
Charmaines Erleichterung dauerte nur einen kur zen Augenblick, bis Rose aufsprang und die Kinder ohne Rücksicht auf Yvettes Proteste aus dem Speisezimmer scheuchte.
Nervös sah Colette Paul und George an. Nur Paul behielt die Nerven. »Also gut, Stephen«, sagte er schließlich. »Sie haben das Wort. Was genau hat Ihre Tochter herausgefunden?«
Gekränkt wollte Charmaine ihren Stuhl zurückschieben, doch Paul verhinderte die Flucht, indem er ihren Arm packte und sie festhielt. Sie war gezwungen, sich die makabre Geschichte anzuhören, während alle Menschen, die sie liebte, über die Wahrheiten zu Gericht saßen, die sie ihnen verschwiegen hatte. Von nun an war sie als Tochter eines Wahnsinnigen, eines Mörders, gebrandmarkt, und sie hatte keine Möglichkeit, sich gegen diese schreckliche Wahrheit zu verteidigen. Scham bemächtigte sich ihrer, und sie ließ den Kopf sinken.
Paul verstärkte seinen Griff, und der Schmerz steigerte ihren Zorn. Wütend starrte sie ihn an. Doch
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