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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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dunkle Federn zwischen mehreren weißen Kissen und einer leichten Daunendecke hervorlugten.
    »Können wir Sie zurückrufen?«, fragte DeLaprey. »In ein paar Minuten, meine ich.«
    »Dann warte ich lieber«, sagte der Beamte.
    Er tat sich schwer, sie zu wecken. Mit dem ersten Augenaufschlag würde die traurige Realität wieder zurückkehren, der sie erst vor wenigen Stunden so mühsam entflohen war.
    Ihre Augen waren geschwollen und freudlos. Er gab ihr zuerst ein Glas Wasser und die Gelegenheit, sich zu sammeln.
    »Einen Moment noch«, vertröstete er den Polizisten. DeLaprey überlegte, ob er die Trennung von Pierre auch noch aufs Tapet bringen sollte. Er ließ es bleiben, denn es schien ihm verfehlt, mildernde Umstände geltend zu machen, ohne überhaupt zu wissen, um welche Umstände es sich handeln könnte.
    Hera nahm den Hörer und sagte ihren Namen. Sie sprach sehr leise. Offenbar so leise, dass sie der Beamte nicht verstand. Sie wiederholte ihn noch einmal. Diesmal laut und deutlich.
    In seinem rot karierten Schlafanzug, der ihr viel zu groß war, wirkte sie bleich und zerbrechlich. Sie hatte Kissen im Rücken, saß halb aufrecht und presste sich den Telefonhörer gegen das linke Ohr. Ein paar Mal sagte sie »ja«, ein paar Mal »nein«. Sonst schwieg sie. Überwiegend schien der Beamte am anderen Ende der Leitung zu sprechen. DeLaprey hörte das Gurgeln, das aus der Hörmuschel drang, verstand aber kein Wort.
    Und plötzlich, als wäre das Gespräch abrupt beendet, hielt sie ihm den Hörer hin. Sie starrte ihn einen Moment lang an, ohne jegliche Regung. Lediglich ihre Nasenflügel verrieten, dass sie noch atmete. Dann verzogen sich ihre regelmäßigen Gesichtszüge zu einer Fratze.
    DeLaprey erschrak. Es kam so unerwartet und plötzlich, wie er es sonst nur bei Babys gesehen hatte. Dieser unvermittelte Übergang von einem zufriedenen Glucksen in ein entsetzliches Schreien. Ihre mandelförmigen Augen, die so schalkhaft lachen konnten, waren nur noch zwei dunkle Hautschlitze. Sie nahm die Daunendecke und presste sie gegen ihr Gesicht, als gälte es, das austretende Blut einer Wunde zu stoppen. Sie schrie und schluchzte. Sie schaukelte mit dem Körper nach vorn und wieder zurück. Und wieder nach vorn. Und wieder zurück.
    DeLaprey wusste nicht, was er tun sollte. Er fasste sie an der Schulter. Sie stieß ihn weg. Hörte nicht auf zu schluchzen und zu wippen.
    Er nahm den Hörer, versicherte sich, dass der Beamte noch in der Leitung war.
    »Was ist los?«, fragte er. »Meine Schwester ist nicht mehr ansprechbar. Sagen Sie mir bitte, was los ist.« DeLapreys Stimme klang erregt.
    Wieder versuchte er, seine Schwester zu halten, die immer noch wie ein Schaukelpferd hin und her wippte.
    »Pierre Oliver ist tot«, kam es aus der Leitung. »Wir sind gerade in seiner Wohnung.«
    »Und wie kommen Sie auf mich?« DeLaprey fragte einfach. Es war nicht das, was er fragen wollte. Es war ihm auch egal. Er sorgte sich um Hera.
    »Der Name Hera DeLaprey steht hier an der Tür … außerdem ist sie hier gemeldet. Es gibt vier DeLapreys in Basel … und Sie waren der Erste, den wir angerufen haben. Manchmal hat man eben Glück.« Die Stimme klang freundlich, fast ein wenig erleichtert. »Wir wollten Ihre Schwester benachrichtigen. Das ist eigentlich alles.«
    »Weshalb ist er … ich meine, warum ist er gestorben?«
    »Schlaftabletten. Wir vermuten eine Überdosis an Schlaftabletten. Wir werden das aber noch genau abklären.«
    »Sie meinen, weil ihn Hera verlassen hat? Aber er hat doch …«
    »Wir meinen gar nichts, Herr DeLaprey. Seine Putzfrau hat uns angerufen, als sie heute Morgen Herrn Oliver tot in seinem Bett auffand.«
    »Und die Frau?«
    »Welche Frau?« Der Beamte klang erstaunt.
    »Die Frau, die mit ihm im Bett war?« Wie er den Satz aussprach, wusste er, dass es falsch gewesen war, es zu erwähnen.
    »Es war keine Frau im Bett, Herr DeLaprey.« Die Freundlichkeit in der Stimme des Beamten war weg.
    »Na dann … beim Sterben ist halt doch jeder allein. So ist es doch, oder nicht?« DeLaprey hätte den Hörer am liebsten gegen die Wand geknallt.
    »Sagen Sie Ihrer Schwester, sie soll sich bei uns melden. Heute noch, wenn’s geht. Wir haben noch ein paar Fragen, reine Formsache … und dann sollte sie den Toten identifizieren. Da kommt sie nicht drum herum.«
    »Ich weiß.« DeLaprey nickte und notierte die Adresse, die ihm angegeben wurde. Dann schaltete er das Telefon aus und legte es auf den

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