Im Sturm der Herzen
zu finden. Sie setzte sich an den Schreibtisch, schaltete den Computer an, ging auf die TTS-Website, nahm sich die nächste Aufgabe vor und fing an zu lesen. Am Ende jedes Abschnitts waren Fragen zu beantworten, doch ihr Hirn verweigerte die Mitarbeit. Nachdem sie zehn Minuten lang die immer gleichen Worte gelesen hatte, klickte sie auf Exit, verließ die Website, schaltete den Computer aus und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
Sie seufzte in der Stille des Schlafzimmers, wusste sie doch nur zu gut, was nicht stimmte. Nach all den atemberaubenden Abenteuern erschien ein Computer-Job ihr dröge und langweilig. Sie hatte sich einzureden versucht, dass ihr Enthusiasmus mit der Zeit schon zurückkehren würde, aber ihr Herz war einfach nicht bei der Sache. Nicht mehr.
Was soll ich tun ?
Seit dem College hatte sie sich unablässig gefragt, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Nun, sechs Jahre später, schien sie der Antwort um kein Stück näher. Sie wünschte, sie hätte den neuesten Fehlgriff Jake in die Schuhe schieben können, aber schließlich war sie es gewesen, die sich an Bord der Dynasty II versteckt und in ein Abenteuer gestürzt hatte, das ihr Leben komplett verändern sollte.
Missmutig und des Eingesperrtseins leid, kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. Jake stand neben dem Fenster und beobachtete die Straße vor dem Apartment. Als sie hereinkam, drehte er sich um.
»Es wird langsam spät«, sagte sie. »Ich habe jedenfalls Hunger. Und was ist mit dir?«
Seine Schultermuskulatur spannte sich. Er schien sie zum ersten Mal richtig anzusehen. In dem Moment, als ihre Augen sich trafen, schien zwischen ihnen die Luft zu knistern. Jake riss seinen Blick fort, genau wie Allie.
»Wir werden uns etwas bringen lassen müssen«, sagte er leicht betreten. »Wie wär's mit Chinesisch?«
Allie feuchtete die Lippen an, die sich plötzlich trocken anfühlten, und wünschte, das Atmen fiele ihr nicht so schwer. »Gern.« Aber Jake anzusehen, der sich des Hemds entledigt hatte und nur noch sein Khaki-T-Shirt trug, ließ sie ihren Appetit vergessen. Die weiche Baumwolle schmiegte sich an eine Brustpartie, um die ihn jeder Muskelprotz beneidet hätte, und verschwand dann in einer butterweichen Jeans, die sich um lange muskulöse Beine legte. Ihr Blick wanderte diese Beine entlang und kehrte schließlich zu der dezidierten männlichen Beule zurück, an die sie sich nur allzu gut erinnerte.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. O Gott, sie wollte ihn so! Schon der bloße Gedanke ließ sie feucht werden. Die Verlegenheit brannte sich zu ihren Wangen empor, und sie drehte sich eiligst weg.
»Ni-nicht weit von hier ist das China Palace. Das Essen ist ziemlich gut. Ich hol dir die Telefonnummer.« Sie rauschte hinaus und in die Küche, zog mit zittrigen Händen eine Schublade auf und hob das schwere Telefonbuch von San Diego heraus.
»Da ist es«, rief sie hinter sich. »The China Palace, fünf-fünf-fünf, sechs-zwei-eins-drei.«
Sie hörte Jake wählen und ihn eine Essensmenge ordern, die ausgereicht hätte, Valisimos gesamte Armee zu verköstigen.
Als ihre Wangen zu glühen aufgehört hatten und sie ins Wohnzimmer zurückkehren konnte, waren die Vorhänge zu, und Jake hatte sich hingesetzt. Sie griff zur Fernbedienung des Fernsehers. »Stell die Lautstärke herunter«, warnte Jake, doch genau in jenem Moment klopfte es an der Tür, und Allie kam gar nicht mehr dazu, die Kiste einzuschalten.
Im Bruchteil einer Sekunde war Jake auf den Beinen. Der Auslieferer konnte so schnell noch gar nicht hier sein, und er wusste, dass Allie niemanden erwartete. Er griff sich sein Tweedsakko vom Garderobenständer und zog es über das Schulterhalfter. »Geh ins Schlafzimmer.«
Allie stritt sich nicht mit ihm herum. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was Felix Baranoff unternehmen würde, falls er wirklich glaubte, dass sie die Maske hatte. Ihre Adresse stand im Telefonbuch, und falls er sich tatsächlich irgendwo hier in der Stadt versteckt hielt...
Sie hastete ins Schlafzimmer, zog die oberste Schublade ihres Nachtkästchens auf und holte die stupsnasige .38er heraus, die sie sich an dem Tag ausgeliehen hatte, als Agent Duchefski sie angegangen und sie sich bereit erklärt hatte, beim Vorhaben des FBI mitzumachen. Da es eine vorgeschriebene Wartezeit gab, war keine Zeit gewesen, eine Waffe zu kaufen. Einer der Gäste aus dem Raucous Raven hatte ihr das Ding geliehen, weil sie schließlich eine allein lebende Frau war und
Weitere Kostenlose Bücher