Im Sturm des Lebens
Äste in den Nebel, der ringsum alles in sanfte Schatten hüllte. In der kühlen Dämmerung erschauerten die schlafenden Weinberge.
Diese friedliche Szene hatte ein Vermögen begründet, ein Vermögen, das Saison für Saison immer wieder neu eingesetzt wurde, mit der Natur als Partner und als Gegner zugleich.
Für Sophia war Wein zu keltern eine Kunst, ein Geschäft und eine Wissenschaft gleichermaßen, aber auch ein großes Spiel.
Von einem Fenster in der Villa ihrer Großmutter aus betrachtete sie das Spielfeld. Die Weinstöcke mussten jetzt beschnitten werden. Während sie auf Reisen gewesen war, waren sie bereits geprüft und ausgemustert worden, und damit hatten die ersten Phasen im Hinblick auf die neue Ernte bereits begonnen. Sophia war froh darüber, dass sie hergerufen worden war, sodass sie diese Phase selbst miterleben konnte.
Wenn sie unterwegs war, beanspruchte das Geschäft all ihre Energie. Sie dachte selten an die Weinberge, wenn sie für das Unternehmen tätig war. Aber wenn sie zurückkam, so wie jetzt, dann dachte sie kaum an etwas anderes.
Sie konnte jedoch nicht lange bleiben. Sie hatte Verpflichtungen in San Francisco, musste einer neuen Werbekampagne den letzten Schliff verleihen. Das hundertjährige Firmenjubiläum stand bevor. Und nach dem Erfolg der Auktion in New York erforderten die nächsten Unternehmungen jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit.
Ein alter Wein für ein neues Jahrtausend, dachte sie. Villa Giambelli: Das nächste Jahrhundert vorzüglicher Leistungen beginnt.
Aber sie brauchten etwas Frisches, etwas Frecheres für den jüngeren Markt. Für diejenigen, die ihren Wein im Vorbeigehen kauften – ein rascher, spontaner Griff, um etwas zu einer Party mitzunehmen.
Nun, sie würde darüber nachdenken. Das war schließlich ihr Job. Und wenn sie sich darauf konzentrierte, würde sie nicht an ihren Vater und die berechnende René denken müssen.
Das geht mich nichts an, ermahnte Sophia sich. Es ging sie überhaupt nichts an, wenn ihr Vater sich unbedingt an ein früheres Unterwäschemodell mit einem Herzen so groß und so vertrocknet wie eine Rosine hängen wollte. Er hatte schon häufiger einen Narren aus sich gemacht und er würde es zweifellos wieder tun.
Sie wünschte, sie könnte ihn dafür hassen, für seine jämmerliche Charakterschwäche und dafür, dass er sie immer vernachlässigt hatte. Aber ihre heimliche Liebe zu ihm blieb beständig. Darin war sie vermutlich genauso dumm wie ihre Mutter.
Sie bedeuteten ihm beide nicht mehr als der Schnitt seines Anzugs. Und kaum waren sie aus seinem Blickfeld verschwunden, verschwendete er nicht einen Gedanken mehr an sie. Er war ein Bastard.
Egoistisch, nur sporadisch liebevoll und immer gedankenlos.
Sophia wünschte, sie wäre am Abend zuvor nicht bei ihm vorbeigefahren, hätte nicht das Band zwischen ihnen wieder erneuert. Es war besser für sie, so zu leben, wie sie es die letzten Jahre getan hatte. Reisen, arbeiten, ihre Zeit und ihr Leben mit beruflichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen anfüllen.
Zwei Tage, beschloss sie. Sie würde ihrer Großmutter zwei Tage geben, würde Zeit mit ihrer Familie, im Weinberg und auf dem Weingut verbringen. Und dann würde sie sich wieder in die Arbeit stürzen. Die neue Kampagne wurde gewiss die beste aller Zeiten. Dafür würde sie sorgen.
Als sie über die Hügel blickte, sah sie zwei Gestalten durch den Nebel wandern. Einen großen, dünnen Mann mit einer alten, braunen Kappe auf dem Kopf und eine äußerst aufrechte Frau in Hosen und Männerstiefeln mit Haaren so weiß wie Schnee. Ein Border Collie lief ihnen voraus. Es waren ihre Großeltern, die mit der alten, treuen Sally ihren Morgenspaziergang machten.
Bei dem Anblick hob sich Sophias Laune. Ganz gleich, welche Veränderungen es in ihrem Leben gab, dies hier blieb konstant. La Signora und Eli MacMillan. Und die Rebstöcke.
Sie trat vom Fenster zurück und griff nach ihrem Mantel, um sich den beiden anzuschließen.
Trotz ihrer siebenundsechzig Jahre besaß Teresa Giambelli einen schönen Körper und einen scharfen Verstand. Sie hatte die Kunst des Weinanbaus auf den Knien ihres Großvaters gelernt. Und sie war erst
drei gewesen, als sie mit ihrem Vater nach Kalifornien gereist war, um auch dort Wein anzubauen. Sie wuchs zweisprachig auf und reiste zwischen Kalifornien und Italien hin und her, so wie andere kleine Mädchen von zu Hause zum Spielplatz gingen.
Teresa hatte gelernt, die Berge, das Dunkel der Wälder und
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