Im Sturm: Thriller (German Edition)
der sowjetischen Streitkräfte, die Exekution einer Reihe von Soldaten der Armee. Alle bis auf zwei waren in den letzten sechs Monaten ihrer Dienstzeit, allen wurde Mißachtung der Befehle ihrer Feldwebel vorgeworfen. Warum ist das von Bedeutung?«
Toland legte eine kurze Pause ein.
»Die russische Armee ist für ihre harte Disziplin bekannt, doch auch hier, wie sooft in der Sowjetunion, ist nicht alles so, wie es sich ausnimmt. Anders als in den meisten Armeen ist dort ein Feldwebel kein Berufssoldat, sondern ein Wehrpflichtiger, der schon zu Beginn seiner Dienstzeit wegen Intelligenz, politischer Zuverlässigkeit oder vermuteter Führerqualitäten für eine Sonderausbildung ausgewählt wurde. Er absolviert einen harten, sechs Monate langen Kurs, wird dann auf der Stelle zum Feldwebel ernannt und zu seiner Einheit zurückgeschickt. Seine praktische Erfahrung ist so gering wie die seiner Untergebenen, und seine besseren Kenntnisse auf den Gebieten Taktik und Waffeneinsatz spiegeln sich lediglich im Sold wider. In westlichen Armeen ist der Ausbildungsunterschied zwischen Feldwebeln und neuen Rekruten sehr viel größer. In Rußland werden Soldaten zweimal im Jahr eingezogen, im Januar und im Juni. Angesichts der üblichen zweijährigen Dienstzeit haben wirtes also in jeder Einheit mit vier ›Klassen‹ zu tun: Die niedrigste ist im ersten Halbjahr, die höchste im vierten. Die jungen Soldaten der letzten Klasse verlangen und bekommen auch meist das Beste – Verpflegung, Uniform, Dienst. Und sie setzen sich über die Autorität der Unteroffiziere der Kompanie hinweg. Befehle kommen direkt von den Offizieren, nicht von den Zugführern, und werden gewöhnlich unter weitgehender Mißachtung dessen, was bei uns als militärische Disziplin auf Unteroffiziersebene gilt, ausgeführt. Wie Sie sich vorstellen können, ist dies eine gewaltige Belastung für die Unteroffiziere und zwingt die Offiziere, mit unerträglichen Zuständen zu leben.«
»Bei der sowjetischen Marine ist das aber anders«, merkte der Befehlshaber der Kampfverbände Atlantik an.
»Gewiß, Sir. Wie wir wissen, dienen die Seeleute drei, nicht zwei Jahre, und ihre Lage unterscheidet sich von der ihrer Kameraden im sowjetischen Heer. Doch auch dort haben diese Verhältnisse jetzt ein Ende: Es wird nämlich energisch durchgegriffen.«
»Und wie viele Soldaten wurden erschossen?« fragte der General der 2. Marineinfanteriedivision.
»Elf, Sir, mit Namen und Einheit aufgeführt. Sie finden die Aufstellung in Ihren Unterlagen. Die meisten waren in der ›vierten Klasse‹, also dem letzten Halbjahr ihrer Dienstzeit.«
»Lassen sich aus dem Artikel, den Sie lasen, generelle Rückschlüsse ziehen?« fragte der CINCLANT.
»Nein, Admiral. Bei allen sowjetischen Publikationen, ob militärisch oder zivil, gilt die ungeschriebene Regel, daß kritisiert, aber nicht generalisiert werden darf. Man kann Individuen anprangern, aber nicht das System. Ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied. Wenn Übeltäter mit Namen genannt werden, richtet sich die Kritik natürlich gegen das ganze System, aber auf politisch akzeptable Weise. Dieser Artikel gibt jedem Offizier, Unteroffizier und Soldaten der sowjetischen Streitkräfte zu verstehen, daß ein neuer Wind weht. Die Frage ist nur: warum? Und es hat den Anschein, als sei dies kein isolierter Fall.«
Toland schaltete einen Arbeitsprojektor ein und ließ eine graphische Darstellung erscheinen. »Bei der sowjetischen Marine ist eine Zunahme der Übungen mit scharfen Schiff-Schiff-Raketen um siebzig Prozent zu verzeichnen. Der Einsatz von Diesel-U-Booten ist reduziert, und laut Geheimdienstmeldungen liegt eine ungewöhnlich große Zahl von Booten wegen routine-, aber außerplanmäßiger Wartungsarbeiten in den Werften. Wir haben Grund zu der Annahme, daß dies im Zusammenhang mit einer landesweiten Batterieknappheit steht. Offenbar werden in allen sowjetischen Unterseebooten die Batterien ausgetauscht, und aus diesem Grund wurde die Batterieproduktion von zivil auf militärisch umgestellt.
Es ist zudem erhöhte Aktivität bei sowjetischen Überwasserverbänden, Marinefliegern und Langstreckenbombern festgestellt worden, zusammen mit intensivierten Waffenübungen. Zudem scheinen sowjetische Überwasser-Kampfschiffe länger auf See zu bleiben und realistische Gefechtsübungen durchzuführen. Dies hat man zwar schon zuvor getan, aber niemals unangekündigt.
Zusammen mit dem, was wir bei Armee und Luftwaffe beobachten
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