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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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Eiswürfeln schwammen Blutfäden. Hedda hob den Kopf, blickte Shade teilnahmslos an und sagte dann: »Ich hab die Bullen nicht gerufen.«
    »Lieber Gott«, murmelte Shade.
    Ihre Lippen sahen aus, als hätte eine Killerbiene zugestochen, und ihr Gesicht war völlig asymmetrisch. Die linke Seite war dick angeschwollen, und das linke Auge würde noch eine ganze Weile violett umrahmt in die Welt blinzeln. Auf beiden Wangen und am Hals waren fingergroße Blutergüsse zu sehen.
    »Hast du mich verstanden?«, fragte sie.
    »Verdammt noch mal, Hedda«, sagte Shade. Er steckte seine Pistole weg und ging zu ihr. »Hat Shuggie dich so zugerichtet?«
    Sie gab keine Antwort, sondern steckte ihr Gesicht in die Eiswasserschüssel. Als sie wieder auftauchte, fragte Shade ein zweites Mal. »Natürlich nicht«, entgegnete sie. »Das Make-up ist wohl schlecht geworden, du Blödarsch.« Dann tauchte sie erneut unter, um die Schwellung zu lindern.
    Shade ging zum Telefon. Das Kabel war aus der Wand gerissen. Also nahm er sich einen Stuhl und setzte sich neben Hedda. Als sie zwischendurch Luft holte, fragte er: »Soll ich dich ins St. Joe’s bringen?«
    »Oh, Rene.« Hedda begann zu schluchzen. Sie wandte sich ihm zu, und er schloss sie in die Arme. »Er war so gemein, so gemein. Ich hab was Falsches gemacht, aber er war so, so gemein.«
    In der Zeit, als Shuggie und Hedda miteinander gegangen waren, hatte Shade die Vorgänge aus nächster Nähe mitgekriegt. Er war zwei Sitze weiter auf dem Balkon im Strand Theater gesessen, während die beiden Turteltäubchen mit Zungen und Fingern herumexperimentiert hatten, und er war der Kerl mit der Flasche und dem Dope gewesen, als Shuggie Hedda auf einem Picknicktisch im Frechette Park flachgelegt hatte, während er am anderen Ende saß und Pfirsichschnaps trank, zu nah dran, um ihr Gestöhne zu ignorieren, und zu bekifft, um das überhaupt zu wollen.
    »Das hätt ich nicht von ihm gedacht«, sagte Shade. Hedda drückte sich an ihn, Wasser tropfte auf seine Schulter. »So was hätt ich ihm nicht zugetraut.« Shade stand auf und zog sie mit sich hoch. »Komm schon, ich bring dich ins St. Joe’s. Du musst dich untersuchen lassen.«
    Sie riss sich los und schüttelte heftig den Kopf.
    »Nein. Nein. Auf keinen Fall. Er bringt mich um. Oder mein Dad erfährt davon und erschießt ihn.« Mit erhobenen Händen ging sie ein paar Schritte rückwärts. »Ich hab einen Fehler gemacht.«
    »Kann ja sein«, sagte Shade. »Aber jetzt bist du ein Gewaltopfer.«
    »Tja«, entgegnete sie nachdenklich, als ginge es um eine Multiple-choice-Frage. »Du weißt ja, die Schwachen, die Schwachen sind bekanntlich immer die Opfer. Das hängt mit ’ner ganzen Kette von Umständen zusammen.«
    »Wo ist der Motherfucker jetzt?«
    »Ja, also – ich hab ’ne Freundin, Rene, ’ne wirklich gute Freundin. Ich mag sie, echt. Sie heißt Wanda. Shuggie will sie umbringen.«
    »Warum?«
    »Ach, er glaubt, sie gehört zu ’ner Gang oder was weiß ich. Er denkt, die hätten sein Spiel ausgeraubt.«
    »Wie heißt sie?«
    »Wanda Bouvier, Rene. So heißt sie.«
    Hedda ging zum Sofa, mit den jämmerlichen Schritten einer Frau, die sich nicht auf den Füßen halten kann. »Sie ist mit Ronnie Bouvier verheiratet.«
    »Verstehe«, sagte Shade. »Jetzt verstehe ich alles. Wie find ich sie?«
    Hedda stolperte über den Couchtisch und fegte die Frangelico-Flasche, die Dessertschalen und ihre Brücke auf den Teppich. Kraftlos ließ sie sich auf das Sofa sinken.
    »Ihm hab ich’s nicht verraten«, antwortete sie mit leisem Stolz in der Stimme. »Aber dir sag ich’s, dir sag ich’s.«

l6
    Lauter schreckliche Gedanken hatten Leon Roe in der Dunkelheit seiner Wohnung umzingelt und quälten ihn. Er saß auf einem Metallklappstuhl an dem Fenster, von dem aus er Wandas Haus sehen konnte, und spähte durch die Vorhänge. Seine Haare waren zerzaust, weil er sich selbst immer wieder daran gepackt und an seinem Kopf gezerrt hatte, um sich zu bestrafen. Auf dem Schoß hielt er eine offene Flasche Fighting Cock Bourbon, den er normalerweise unter der Küchenspüle aufbewahrte und nur abstaubte, wenn seine Mutter zu Besuch kam. Aber heute Abend fühlte er sich so von aller Liebe und Hoffnung verlassen, dass er einige Fingerbreit gekippt hatte.
    Vor ein paar Schlucken hatte er gesehen, wie ein Wagen mit drei Leuten aus Wandas Einfahrt gefahren war, und jetzt klopfte er mit den Schuhspitzen schnell und erwartungsvoll auf den Fußboden – kam noch

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