Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
Vom Netzwerk:
Stock. Ganze Familien waren damals auf ewige Seereise geschickt worden. Er konnte sich noch ganz deutlich erinnern, wie er zusammen mit seinem Vater im Nieselregen auf dem Dach des hohen Heiser-House-Hotels gestanden hatte, sein Vater schreckerstarrt, und wie sie beide in die brodelnden Fluten gestarrt hatten, um Ausschau nach seiner Mutter zu halten. Er erinnerte sich genau an alles, was er gesehen und gehört hatte, an Kühe, die in der schnellen Strömung auf und ab tanzten, die aufgeblähten Bäuche in die Höhe gestreckt, an Hütten und gekenterte Autos, die von wilden Strudeln nach Süden gerissen wurden, an die Angstschreie von verzweifeltem Vieh und Hunden und Menschen und an die scheußlichen Verrenkungen von totem Vieh und toten Hunden und toten Menschen, vorbeiströmend wie Wettschulden, die der siegreiche Fluss einkassiert hatte und mitschleppte. Die Flut war die erste Erinnerung seines Lebens und die einzige an seine Mutter.
    Es war jetzt kurz vor Einbruch der Dunkelheit an einem warmen Herbsttag, und er entschied sich, hinter die Lafitte Street zu fahren und den Schlackeweg zu nehmen, der neben den Bahngleisen entlangführte. Der Weg verlief zwischen riesigen Kohlekästen aus verwittertem Holz und der Hintertür der Eckbude, in der, er würde wetten, Monique noch immer wohnte.
    Sie hatten so manches Jahr hier verlebt, in diesem Reihenhaus aus Backstein, und ihre Jungs waren an diesem Ort groß geworden, hatten sich unter die Stadtstreicher gemischt, die in den Kohlekästen pennten, und gelernt, sich treiben zu lassen, wenn sie sich fünfzig Meter östlich der Gleise kopfüber in den Big River stürzten. Monique war jetzt wahrscheinlich da drinnen, im Erdgeschoss, wo sie mit drei Pooltischen und einer Dr.-Pepper-Kühltruhe gerade so über die Runden kam. Obwohl die Fenster klein waren, meinte er, ihre Gestalt zu erspähen, wie sie auf einem Barhocker thronte und eine Salve kunstvoller Rauchringe in seine Richtung blies.
    John X lüftete einen imaginären Hut in Richtung des Fensters und fuhr weiter. Weiter den Schlackeweg entlang kam er an eine sandige Seitengasse und fuhr hinein. Neben einem Holzhaus, das so manches Jahr auf dem Buckel hatte, bremste er sanft ab. Ein rundes verrostetes Blechschild war an die Wand zur Gasse genagelt, und auch wenn man die Reklameaufschrift nicht mehr genau lesen konnte, wusste er, dass sie das längst nicht mehr existierende Sulthaus-Bier pries. Über der Kneipentür hing ein großes Schild, und darauf war ein liederlicher blauer Wels zu sehen, der auf seiner Schwanzflosse stand, an eine Laterne gelehnt eine Zigarre qualmte und so aussah, als könne er ein Schnäpschen und einen drallen Weiberarsch vertragen.
    »Mannomann, wie finde ich denn das?«, sagte John X anerkennend, als er das Schild sah. »Der Junge hat den Catfish tatsächlich über Wasser gehalten, wenn er ihm denn noch gehört.«
    Etta wachte auf und rieb sich die Augen mit den Fäusten.
    »Hä?«, fragte sie.
    Der Motor des Pick-ups tuckerte im Leerlauf, und John X wollte schon wieder anfahren, als ein mürrischer und geheimnisvoller Bursche in schwarzem Hemd, weißen Hosen, schmutzigen weißen Schuhen und mit einer frischen rosa Narbe auf der Stirn die Gasse überquerte, wo sie in die Lafitte mündete; er ging in den Catfish.
    John X seufzte, zog die Schultern hoch und stellte den Motor ab.
    »Das war einer von deinen Brüdern«, sagte er.
    »Wie bitte?« Etta ließ den Unterkiefer hängen. Das Gesicht zerknautscht, rubbelte sie mit beiden Händen heftig ihren femininen Bürstenhaarschnitt. Dann schwenkte sie den Kopf abrupt herum und starrte erst die zerfurchte Gasse hinunter, dann über die gepflasterte Straße und schließlich hoch zum dekadenten blauen Wels. »Dad, wo sind wir?«
    »Zu Hause«, sagte John X. »Das hier ist Zuhause, Etta. Gehen wir rein und sagen howdy, eh?«
    »Du bist am Steuer, Dad.«
    Sie kletterten aus dem Truck und traten in die Dämmerung auf der Lafitte Street. Die Klamotten eines wohl mittlerweile Toten, die John X trug, hatten Grampa Enoch, der in seinen besten Zeiten gut zehn Zentimeter kleiner und fünfzehn Kilo schwerer gewesen war als sein Schwiegersohn, ganz gut gepasst. Graue Hochwasser-Hosenbeine schlackerten John X wadenaufwärts über den Knöcheln und legten weiße Socken frei, die in schwarzen Turnschuhen ersoffen. Sein Hemd war orangerot wie ein Sonnenuntergang, und etwas, das aussah wie ein stolpernder Storch oder ein pirouettendrehender Bussard, war über der

Weitere Kostenlose Bücher