Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Sleep-Tite stand. Es zierte ein vierstöckiges Backsteingebäude, das vor langer Zeit mal das Heiser House gewesen war, und da war so ein leichtes Prickeln, als ihm Mrs. A.T. Yarborough einfiel, die Frau des ehemaligen Bürgermeisters, deren Tür im obersten Stockwerk ihm nachmittags stets offen gestanden hatte. Herrje, sie musste zwei- oder dreiundvierzig gewesen sein und er kaum halb so alt, aber, Mannomann, er konnte nur bestätigen, dass diese reifen Fideln mit dem reinsten Jubelchoral antworteten, wenn man sie nur richtig geigte.
An der Fifth hatten sie eine neue Ampel aufgestellt, und als er bei Rot hielt, sah John X zu Etta rüber, die definitiv der Joker in seinem jetzigen Leben war, und er spitzte die Lippen, während er darüber nachdachte, wie diese Karte wohl am besten ins Spiel zu bringen wäre.
Teufel auch, wer wusste das schon?
Lass das mal sacken.
Als die Ampel auf Grün sprang, fuhr er weiter. Anita O’Day sang »Let Me Off Uptown«, und ein hintergründiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er ihre Stimme hörte, denn beim Gedanken an sie war sein Blut schon immer in Wallung geraten.
Mann, in jenen Tagen waren die Weiber noch anders gestrickt.
Er bog nach rechts in die Voltaire Street und glitt ins Herz von Frogtown, die Gegend, in der er groß geworden war und die er seiner ersten Familie vererbt hatte. Er fuhr langsam, denn er hatte es nicht besonders eilig. Vorübergehend fühlte er sich fremd in so vertrauter Umgebung.
John X hatte St. Bruno schon vor langer Zeit im Rückspiegel gelassen und war seitdem nur ein paarmal kurz in der Stadt aufgekreuzt. Ihm war so, als hätte er Tip bei einem Highschool-Footballspiel zugeschaut, bei dem es irgendeine Trophäe zu verteidigen gab, und er war sich hundertprozentig sicher, dass er miterlebt hatte, wie Rene in der Armory einem Halbschwergewichtler aus Texas in acht Runden die Burritos aus dem Leib prügelte. Aber seit er von hier abgehauen war, hatte er den größten Teil seines Lebens auf der Straße verbracht, wo er hochgehandelte junge Poolhaie aufspürte, um ihre Nervenstärke beim One-Pocket zu testen, und verlässliche alte Knaben, deren Unzulänglichkeiten beim Nine-Ball ihnen selbst verborgen waren, ihm aber gleich ins Auge fielen. Und zwischen diesen rein sportlichen Begegnungen stahl er förmlich den Deppen mit normalem Tagwerk, die meinten, sie seien nach Feierabend urplötzlich wahre Queue-Künstler, die Dollars aus den Lohntüten. Damals verging so gut wie kein Abend ohne große Gesten oder kleine Listen, ohne das Poolgezocke, die Würfel; das alles und dass er sich gelegentlich von reichen Damen aushalten ließ, bescherte ihm ein Leben in Hotelzimmern, das er mit einer Flasche pro Tag etwas fröhlicher gestalten konnte. Außerdem tafelte er in verlotterten Nachtkaschemmen, takelte sich wie ein Errol Flynn für Arme auf und verklickerte all den interessanten Mädchen, die ihm begegneten, dass sie was hätten, das ihn ganz kirre mache, worauf er über jede rüberstieg, die schüchtern grinste und hoffnungsvoll »Tatsächlich?«, fragte. Eine hübsche Zahl von Jahren war es so gelaufen, Jahre, von denen nichts geblieben war, bevor ihm eine einzige Puppe den Verstand geraubt hatte und er bei Randi Tripp, dem ’Bama-Butterfly, hängen geblieben war.
Oh, Mann.
Lass das mal sacken.
Und dann hatten ihn, um sein Schicksal endgültig zu besiegeln, seine Augen verraten und verkauft, indem sie schwach wurden, und seine Hände hatten sich der Verschwörung angeschlossen, indem sie das Zittern bekamen.
Oh, criminentlies.
Und jetzt würde Lunch nach ihm und der Kleinen suchen, und der Kerl würde die Wahrheit nicht glauben, auch wenn er sie ihm erzählte, was er aber wahrscheinlich eh nicht tun würde. Lunch kann mich mal – ich hab schließlich auch ’ne Waffe, stimmt’s?
Wär ’ne Möglichkeit.
Als John X durch die Straßen von Frogtown kreuzte, leuchteten seine Augen bei allem auf, was ihn an sein damaliges Leben erinnerte. So entsann er sich, wie diese Straßen überschwemmt waren und hier Gabelwelse und Alligatorhechte schwammen. Der große Fluss war so manches Mal auf die hässliche Idee gekommen, diese Straßen unter Wasser zu setzen, und Shade konnte sein Leben anhand der Narben nachverfolgen, die das Hochwasser an mehreren Gebäuden noch immer erkennbar zurückgelassen hatte. Die unregelmäßige schwarze Linie von der Flut ’27 markierte den höchsten Wasserstand und reichte fast an die Fenster im dritten
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