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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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sah es aus, als würden zwei große Schlangen eine dritte zeugen.
    Er war sein eigener Rausschmeißer.
    Die Catfish Bar war ein Ort, an dem so mancher Coup ausgeheckt wurde. Über Schnapsgläsern und Humpen hockend steckten Grüppchen von Frogtownern die Köpfe zusammen und schmiedeten Pläne für simple Brüche, Totalisator-Schiebereien, Schmiergeldeinsätze im Rathaus, raffinierte Scheckbetrüge, den Diebstahl der neuen diebstahlsicheren Autos, Drogendeals und Racheakte. Wer nie im Knast gewesen war, galt in diesen gesellschaftlichen Kreisen als Angsthase oder Genie.
    Barkeeper im Catfish zu sein hatte Tip rundum ausgefüllt, bis diese merkwürdige Liebesanwandlung ihn kalt erwischt hatte und über seinen gesunden Menschenverstand hinweggetrampelt war. Er mochte so gut wie alles an Gretel, den ganzen erdigen Duft, den sie in seine Nase steigen ließ, das feste Fleisch, das er spürte, wenn er sich an ihrem Körper vorbeidrängte, und die vielen Szenen der Zärtlichkeit, die er sich ungeniert in seinen Tagträumen ausmalte, die mochte er auch. Sie war keine Fernsehschönheit, und dann war da noch die Sache mit der Schwangerschaft, was ja vielleicht auf ’ne fragwürdige Geschichte hindeuten konnte, aber, Mann, sie hatte ein Lächeln, das ihn in die Magengrube traf, und riechen tat sie wie ein schöner Garten.
    Nach ungefähr einer Woche fragte er sie, ob sie vielleicht irgendwann mal irgendwas machen wollten, und sie sagte, klar, und er sagte, was würdest du denn gerne machen, Gretel?
    »Ich mag Sachen aus heiterem Himmel«, sagte sie zu ihm. »Überrasch mich einfach.«
    Big Tip hatte sie mit einem Kinobesuch überrascht, einem reichlich abgeschmackten Stück über ein paar Bürohengste und ein Kleinkind, aber sie lachte an den entscheidenden Stellen. Danach gingen sie in ein Café, um einen Happen zu essen und zu reden, und fast haargenau so wiederholten sie es ein paarmal. Bei Pommes frites und belegten Broten mit Schweinebraten erfuhr er ein klein wenig von ihrer Geschichte, die sich hauptsächlich um ihre Familie drehte und nicht eben in geregelten Bahnen abgelaufen war. Zodiac und Delirium waren Wörter, die immer wieder mal in dieser Geschichte auftauchten, aber erst beim dritten Treffen dämmerte es ihm, dass es sich um Papas und Mamas Hippienamen handelte. Allem Anschein nach hatten Zodiac und Delirium sich bei einem Love-In oder so was kennengelernt, das in ein Scharmützel mit der Polizei gemündet war. Aus Missfallen an den Gesetzen einer solchen Gesellschaft hatten sie sich zusammen mit dem Rest ihres Hippiestamms tief in die Kiefernwälder der Ozarks zurückgezogen und sich direkt am Ufer des King’s River eine andere Welt zusammengezimmert. In dieser neuen Welt Marke Eigenbau gab es verdammt wenige Regeln, aber dafür eine Menge Umarmungen und Küsse und nacktes und bekifftes Herumstehen im Angesicht diverser Götter. Doch was vernünftige Kost, Geld und ein festes Dach überm Kopf betraf, war nicht viel gelaufen, und als der dritte Winter hereinbrach, standen die meisten Stammesmitglieder plötzlich wieder an der Hauptstraße und hatten den Daumen im Wind, um in Richtung Zentralheizung zu trampen.
    Zodiac und Delirium blieben ihrer alternativen Welt treu, und als Gretel geboren wurde, gehörte sie eben mit dazu. Aber je mehr sie heranwuchs, desto mehr wuchs bei Gretel natürlich auch der Überdruss an der Lebensweise ihrer Eltern, und sie machte sich auf, eine zu finden, die ihr mehr lag. Nach einer Kette von Glückstreffern und Fehlgriffen, die man nur als Karma bezeichnen konnte, landete sie schließlich hier, tief im Süden, mit einem Baby im Bauch, das sie zu Markte trug.
    Das war im Wesentlichen, was Tip von Gretel wusste, und nichts davon konnte sie in seinen Augen oder seinem Herzen schmälern. Er sprach nie das Baby an und nie die Geschehnisse, die dahinterstanden. Davon wollte er nichts wissen.
    Was er jedoch wusste: Dieses Mädchen, diese Gretel, hatte ihm Auftrieb gegeben und ihn aus dem eingefahrenen Trott seines bisherigen Daseins geworfen.
    Und jetzt saß sie im warmen Zwielicht eines ausklingenden Herbsttages auf ihrem Hocker im Catfish und las laut aus einem jener Revolverblätter vor, für die sie eine Vorliebe hatte, weil die Buchstaben riesig waren und die Storys auch. Tip ging seinem Job nach und bediente die Gäste, während Gretel auf eine stockende und stolpernde Weise vorlas, die davon herrührte, dass sie in einer Welt groß geworden war, in der man Schule mit Knast

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