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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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gleichgesetzt hatte.
    Beim Lesen legte sie zwischen den einzelnen Wörtern Denkpausen ein.
    »›Der Mann im Mond ist so selbst-ver-ständ-lich wie du und ich‹, sagte Mrs. Willow Henry. ›Obwohl seine Köpfe so dicht bei-ein-ander liegen wie ein Doppel‹ – was heißt das hier, Tip?«
    Tip zapfte gerade ein Bier, aber wie gewöhnlich nahm er sich Zeit für Gretel und ihre Weiterbildung. Er beugte sich über die Theke und sah sich das Wort an, worauf ihr Finger zeigte.
    »Dotter«, sagte er, »wie Eier.«
    »›Obwohl seine Köpfe so dicht bei-ein-ander liegen wie ein Doppel-Dotter‹«, wiederholte Gretel und rieb sich mit der freien Hand den Bauch. »›Wo-anders draußen im Weltraum wird das wahrscheinlich für niedlich er-achtet, aber ich hab mich doch anfangs ge-gruselt.‹« Gretel hob den Blick von der Illustrierten und lächelte. »Was sagst du?«
    »Ist erstaunlich«, strahlte Tip sie an. »Du wirst wirklich, wirklich, wirklich immer besser.«
    Die Tür ging auf, und Rene Shade kam rein und hängte sich an die Bar. Noch war es ruhig im Laden.
    »He, Tip.«
    »He, Brüderchen. Wie immer?«
    »Nur ’n Bier«, sagte Shade. Er setzte sich auf den Hocker neben Gretel. »Das ist doch nicht ansteckend, oder?«
    »Nee.«
    »Und wie geht’s?«
    »Locker, Mann. Echt locker.«
    »Was ich dich schon immer fragen wollte«, sagte Shade, »dein Schmetterling da, ist das ’n Monarch?«
    Gretel grinste und nickte.
    »In Lebensgröße.«
    Die Tür wurde wieder aufgestoßen, und umrahmt vom Dämmerlicht der Außenwelt draußen standen da ein kleines Mädchen, das ziemlich abgefahren aussah, und ein alter Mann, der in Modefragen ebenfalls einen seltsamen Geschmack hatte und den Brüdern trotz seiner Sonderbarkeit bekannt vorkam. Eine Zigarette hing dem Alten zwischen den Lippen, und er hob die bebenden Hände wie zwei Colts, zielte mit zittrigen Zeigefingern auf Shade und auf Tip, wedelte mit den Daumen, als würde er abdrücken, und rief dann: »Sagt mal, seid ihr Jungs nicht ’n paar Söhne von mir?«
    Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen. Die Shades saßen an einem kleinen runden Tisch und machten auf Familienbesäufnis. Die Wände waren mit Postern und Fotos von Sportereignissen geschmückt, und kaputte Fischernetze hingen von der Decke herunter. Der Raum war düster, mit dunklen Ecken, die sich allmählich mit Stammgästen des Catfish füllten. Tips Gehilfe Russ kümmerte sich um die Bar, und Tip schenkte den Whiskey am Tisch an der Wand aus.
    Mitten auf dem Tisch stand ein Teller mit einer teilweise vertilgten Dreifachportion Froschschenkel. Etta und Gretel tranken Sprudel und spielten abwechselnd am Flipper im hinteren Teil der Kneipe.
    Tip zeigte auf seine soeben erst aufgetane Halbschwester und sagte: »Also, die müssen wir jetzt auch auf die Geschenkeliste für Weihnachten setzen, oder was?«
    »Bleibt dir überlassen«, sag te John X, ei n volles Glas in der Hand.
    Abermals zeigte Tip auf Etta mit ihrem Bürstenschnitt, den lila Fingernägeln und dem Kruzifix am Ohr. »John, das da ist ein wahrhaft außergewöhnliches kleines Kind.«
    John X nickte bedächtig. Seine Augen glänzten.
    »Waren meine alle«, sagte er. »Soweit ich sie kenne.«
    »Mh-hm. Das glaub ich dir.« Tip zwinkerte Shade zu und füllte mehr Whiskey in das Glas seines Vaters. »Also, Johnny, wie zum Teufel geht’s denn eigentlich so?«
    »Meine Leber erweist sich nicht so ganz als das Organ, das ich mir erhofft hatte, Tippy«, gab John X Auskunft und zog dabei den Drink in den Pferch, den seine Arme auf dem Tisch formten. »Aber Tränen sind salzig, und Salz ist nicht gut für ’nen alten Knacker wie mich.«
    Shade hockte auf seinem Stuhl und musterte seinen Vater, als versuche er, ihn mit dem Fahndungsplakat zu vergleichen, das er im Kopf hatte. Er war ihm im Laufe der Jahre hier und da über den Weg gelaufen, aber so hatte er noch nie ausgesehen. Meistens war hinter all den markanten Mienen seines Dads eine erfindungsreiche Vitalität zu ahnen gewesen, und diese Qualität hatte ständig dafür gesorgt, dass weniger kraftvolle Typen seine Freundschaft suchten oder doch zumindest seine Bekanntschaft, um des farbenprächtigen Spektrums seiner Weltsicht teilhaftig zu werden, Geld an ihn zu verlieren und ihn mit nach Hause abzuschleppen. Auf diese Weise war er durch so manch lustiges Jahr geglitten, aber, Mann, jetzt hatten die Jahre ihn eingeholt und machten sich lustig über ihn. Seine Hände zitterten, und seine Finger zappelten

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