Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Zigarettentasche aufgenäht. Ein zerknittertes Leichentuch von grünkariertem Jackett umschlotterte ihn wie ein Büßergewand.
John X ging zur Tür, hielt inne, linste nach links und rechts zu den nächsten Straßenecken und blinzelte in eine tatsächlich existierende Welt, die sich nur wenig verändert zu haben schien. Alles sah aus und roch und erschien ihm wie immer. Er hielt eine bebende hohle Hand ans Ohr, in der Hoffnung, ihn noch immer hören zu können, jenen so gern erinnerten Radau, das Waffengeklirr der Jugend gegen den Rest der Welt. Obwohl er ein schwaches Echo jenes heißblütigen Lärms hörte, verspürte er eine gewisse Beklommenheit, die auf der unangenehm ernüchternden Erkenntnis beruhte, möglicherweise vom Leben geleimt worden zu sein. Aus der einen Lebensweise gedrängt, gezwungenermaßen in die nächste abdriftend. Vielleicht hätte da mehr sein können.
Ach, que sera und so weiter.
Du hast immer die Wahl.
Lass das mal sacken.
Er schüttelte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie zitternd an.
»Ich bin zwar nicht der Aga Khan, Kleine«, sagte er, »aber die eine oder andere Erfrischung kann ich ganz bestimmt noch springen lassen.«
Damit zog er die Tür zur Catfish Bar auf.
4
Da er nie den Quatsch von der alles überwindenden Liebe geglaubt hatte, registrierte Big Tip Shade ziemlich verblüfft, dass er in jüngster Zeit auf den Knien rumrutschte, nachdem er stumm »Ich gebe auf« zu einem Blondschopf von Landhippie-Huhn gesagt hatte, das von den Bergen runtergekommen war. Ihr Name war Gretel Hyslip, und sie war reichlich schwanger und ganz allein, und er hatte die weichen Knie gekriegt, als sie sich eines Morgens auf einen Hocker an seiner Bar schwang und verschämt eine Bloody Mary mit extra viel Selleriestängeln bestellte, denn es seien ja zwei Mäuler zu stopfen.
Big Tip hatte sie im Licht jenes Morgens betrachtet und gesagt: »Du bist doch noch nicht alt genug, oder?«
»Es gab Typen, die dachten, ich wär’s«, antwortete sie.
»Ich mein – zum Trinken«, sagte er. Er kam näher, um sie genauer anzuschauen. Sie war mehr oder weniger noch ein Kind, mit einem mageren Gesicht und strähnigen blonden Haaren. Eine Narbe so breit wie eine Autoantenne zog einen aufmüpfigen Striemen quer über ihre rechte Wange, aber wirkte bei Weitem nicht so abstoßend, wie sie es hätte sein müssen. Ein bunter Schmetterling war auf ihre blasse Schulter tätowiert. Ihre Hände waren rot und rau von der Landarbeit und ihre Augen grau wie der Bergnebel. Das Baby, das sie trug, blähte sie mächtig auf.
»Ich schenk keinen Alkohol an Schwangere aus«, sagte Tip. »Hat mit ’m Alter nichts zu tun.«
»Null Problem«, meinte sie, den Blick gesenkt.
»Du willst doch nicht, dass das Kleine gleich mit ’nem Kater zum Vorschein kommt, oder?«
»Null Problem«, sagte sie abermals. »Ist sowieso nicht mehr mein Baby.« Sie rieb mit beiden Händen über den Ballonbauch. »Ist schon verscherbelt.«
»Aha, verstehe. Du bist hier in Mrs. Carters Haus untergekommen?«
Gretel nickte und sagte: »Yup.«
Also war sie wirklich ganz allein, ein blondes Kind von Landhippies mit einem auf die Haut geprägten Schmetterling, ein Kid, das drüben in Mrs. Carters Haus untergekommen war, einem traurigen Haus voller trauriger Mädchen, die als werdende Mütter traurig lausige Deals eingegangen waren, und da war diese Narbe, dieser seltsam samtige Schmiss auf ihrer Wange, und da waren diese grauen Hochlandaugen.
Tip sagte: »Hör mal, Mädchen – ich werd dir keinen Schnaps servieren, aber was ich mach, ich lass dich da sitzen und Limo aufs Haus trinken, bis sie aus dir raussprudelt.«
»Dann nehm ich Dr. Pepper, und Sie haben ’ne neue Freundin.«
Drei Wochen waren inzwischen vergangen, seit Gretel jenes erste Glas Dr. Pepper auf ihre Freundschaft erhoben hatte, und sie war seither so gut wie jeden Tag in seinem Laden aufgetaucht, hatte sich stets auf demselben Hocker niedergelassen, schüchtern geredet und Tip unter dem gewaltigen Gewicht neuer Gefühle in die Knie gezwungen.
Tip Shade war ein pockennarbiger Kraftprotz im Megaformat, dem die langen braunen Haare, fettig hinter die Ohren geklemmt, bis auf die Schultern hingen. Seine Augen waren von einem weit verbreiteten, aber namenlosen Braun. Die finstere Miene war ein Reflex, Antworten gab er in Form eines Grunzens. Sein Stiernacken war ein Überbleibsel aus dem Albtraum eines jeden Menschen mit gewöhnlichem Nacken, und wenn er die Arme kreuzte,
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