Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
wie Maden am Angelhaken. Er war schlank, okay, aber seine Haut hatte einen üblen gelben Schimmer, und seinen Truthahnhals zerfurchten tiefe Knitterfalten. Der alte Mann hatte sich im Neonlicht zu vieler Bierreklamen gesonnt und war der lebende Beweis, dass man nicht von drei Päckchen Chesterfields und einem dreiviertel Liter Whiskey am Tag leben kann, ohne irgendwann verdammt weit aus der Kurve getragen zu werden.
Shade sagte dann auch: »Weißt du, John, ich muss das mal loswerden – du siehst echt anders aus.«
»Älter, meinst du?«
»Nicht nur älter, sondern reichlich runtergekommen. Ich mein, du hast dich doch immer so schnieke angezogen – was ist da bloß passiert?«
»Genau, ich war immer irgendwie einer von der flotten und auffälligen Sorte«, sagte John X, legte die Hände zusammen und tat, als würde er vom Sprungbrett springen, »aber in letzter Zeit versink ich tief in Demut.«
»So nennt man das also in deinen Kreisen, hä?«
»Nun hört mal gut zu«, forderte John X und breitete die Arme aus. »Ich erwartete keine überschwänglichen Umarmungen oder so, aber ein freundlicher Drink und ein ebenso freundlicher Happen zwischen die Zähne, das wär schwer in Ordnung.«
»Halleluja darauf«, verkündete Tip schmunzelnd. Er füllte alle drei Gläser mit Maker’s Mark, John X’ Grundnahrungsmittel. Dann sagte er: »Also, Johnny, was für ’ne krumme Tour ist’s denn diesmal, die dich in die Stadt bringt?«
»Keine krumme Tour. Damit bin ich fertig. Ich hab was entschieden, das ist es.«
Tip, der älteste Sohn, starrte seinen Pa gespannt an und wartete auf eine Art Pointe. Als keine kam, sagte er: »Entschieden, Mann? Was hast du denn entschieden?«
Ein kleiner Schluck saure Maische ölte John X’ Kehle genau richtig, und er antwortete: »Im Leben kommt man immer wieder in Lagen, wo man sich entscheiden muss, Jungs. Könnt ihr mir folgen? Du nimmst diesen Weg, du nimmst jenen Weg, du fällst dazwischen zu Boden und heulst wie ein kleines Kind, was auch immer. Allesamt Entscheidungsmöglichkeiten, und mit den Scheißdingern muss man vorsichtig sein. Immer schön sachte damit. Versuch, schlaue Entscheidungen zu treffen, denn in späteren Jahren kann eine falsche Entscheidung leicht aus dem Hinterhalt über dich herfallen, und schon bist du nicht mehr Herr der Lage.«
»Du meinst, wie zum Beispiel die Entscheidung, als Trunkenbold und Spieler durch die Gegend zu ziehen?«, fragte Shade.
John X bedachte seinen einzigen blauäugigen Sohn mit einem eindeutigen Blick und nickte.
»Exactamente, Rene. Ich hätte vielleicht die Entscheidung treffen sollen, Priester zu werden. Die Arbeitszeit ist zwar mies, aber die Vergünstigungen sind nicht übel, ewiges Leben und so.« Er hob den Whiskey, hielt ihn sich unter die Nase, schloss die Augen und sog den Geruch ein. »Das hört sich rückblickend ganz nett an.«
»Aha«, sagte Tip. » Neeee , Johnny. Wärst du Priester geworden, wär’n wir jetzt nicht hier, oder?«
»Nein, wärt ihr nicht. Gutes Argument. Ihr wärt beide bestenfalls kalte Flecken auf meinem Bettlaken.« Er wandte sich Shade zu. »Hab ich also vielleicht doch die richtige Entscheidung getroffen, Sohn?«
Bevor Shade etwas erwidern konnte, standen zwei grauhaarige Catfish-Stammgäste an der Tischkante und sagten: »Johnny Shade, bist du’s?« Der alte Mann bejahte, und dann gab es kein Halten mehr, nur noch überschwängliches Palaver, Gegrinse und wechselseitiges Schulterklopfen. Der glatzköpfigere der beiden Typen hieß Mike Rondeau, und der andere, der aussah wie Mr. Sporting Life von 1947, war ein stämmiger, rotgesichtiger Bursche namens Spit McBrattle, der immer noch aktiv genug war, um gelegentlich in den Polizeiberichten Erwähnung zu finden. Pa Shade schien in Wiedersehensfreude zu schwelgen, und er ließ die Kette von Chesterfields nicht abreißen, zündete eine nach der anderen mit demselben 8-Ball-Zippo an, das schon damals, als er seine Familie sitzen ließ, in seiner Tasche gelegen hatte. Nach einer Weile sagte John X zu Mike und Spit, er sei ja nun hier, aber jetzt wolle er sich erst mal mit seinen Jungs unterhalten, und Mike fragte, wie lange bist du denn diesmal am Ort, Johnny, und die Antwort brachte Tip und Shade dazu, völlig perplex Blicke auszutauschen, denn sie lautete: »Ich bleib, Jungs, ich bin zu Hause, und zwar für immer.«
Dann sonderten sich die Sportsfreunde ab, und John X wandte sich wieder der Runde am Tisch zu und sagte zu Shade: »Und, bist
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