Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Seine Augen waren spelunkenrot, und er brauchte beide Hände für sein Glas.
»Dad«, hob er an. »Warum hast du uns damals eigentlich sitzengelassen?«
Voller Missfallen zog der alte Mann die Mundwinkel nach unten. Er blickte nach hinten, wo Etta Tausende von Bonuspunkten aus dem bimmelnden Flipper kitzelte, richtete die Augen zur Decke und schloss sie dann.
Er sagte: »Seht mal, Jungs, vor langer Zeit in einer betrunkenen Nacht, da hab ich meinen Glückspfennig verloren, und seither bin ich auf der ewigen Suche nach dem einarmigen Mann, der ihn gefunden hat und nicht zurückgeben will. Aber kürzlich hab ich was läuten hören, dass er hier wieder aufgetaucht ist, hier in der alten Heimat.«
5
Lunch Pumphrey gestattete sich exakt sieben Zigaretten pro Tag, und als er von Rodney Chapmans Frau Dolly runtergerollt war, griff er gleich nach seinem Päckchen und steckte sich Salem Nummer drei an. Hungrig inhalierte er den Mentholrauch und ließ sich dann auf einen weichen Verandastuhl sinken, dessen Stoffbezug eine üppige Orchideenpracht zierte. Er rauchte einen Augenblick, bemüht, seinen Atemrhythmus in den Griff zu kriegen, und kratzte träge mit den Fingernägeln an einem Lippenstiftfleck unter seinem Bauchnabel.
»Puuh!«, sagte er. »Gegen irgendwas war das jetzt bestimmt das richtige Rezept, hä?«
»Ganz sicher«, meinte Dolly. Sie lag noch auf der Couch, hielt mit der linken Hand die Augen bedeckt, ließ die rechte zum Fußboden runterbaumeln. Dolly war in zartem Alter, hatte aber ein angesäuertes Gesicht. Die blonde Farbe ihrer langen Haarsträhnen stammte aus der Drogerie, und ihr Körper, schlank dank reiner Jugend und Aufputschpulver, war nahtlos goldgebräunt, die schwarzen Schamhaare zu einem frechen Häppchen gestutzt. Sie war die junge Frau des alten Rodney, und sie stand mächtig auf ihn, aber wenn einer mit ’ner Line gutem Koks und ’nem Pimmel des Wegs kam, schlug sie zu. »Gegen Langeweile vielleicht«, räumte sie ein. »Gegen die könnte es ein Rezept sein.«
Lunch sagte: »Ich glaub, gegen die ist es schon seit Urzeiten das Rezept.«
Sie befanden sich auf der hinteren Veranda des Chapman-Hauses, das über der Redneck Riviera thronte. Lunch stand auf, um die Kulisse besser genießen zu können, denn die Veranda hatte Aussicht zu bieten, Panorama. Er blinzelte in die Nachmittagssonne und starrte hinaus über den Golf, mehr oder weniger in Richtung Panama oder was da unten sonst noch lag. Er rauchte seine Zigarette mit Tempo runter, sog den Rauch konzentriert ein, ließ den Blick über die schimmernde grüne Weite schweifen. Da draußen waren ein paar Motorboote und flatternde Segel zu sehen. Winzige Wellen. Lärmende Vögel verschiedener Größe. Interessant zu beobachten, aber auch nicht annähernd die Grundstückspreise wert.
»Lunch, Honey«, sagte Dolly. »Kann ich noch ein bisschen von deinem Koks haben?«
»Aber klar«, sagte er. »Immer auf der Höhe bleiben.«
Lunch sah aus wie das Selbstporträt eines Expressionisten, der sein Lithium abgesetzt hatte. Die eine Hälfte seines Gesichts war so glatt und sanft wie ein Babyhintern, die andere eine einzige Prellung. Seine rechte Wange war vom Kinn bis zum Ohr noch immer geschwollen, und der Heilungsprozess machte sie zu einem Farbspektakel. Blau, Schwarz, Gelb, Lila – eine Palette fieser Verfärbungen, die auf seinem Gesicht kollidierten. Seine Haut war blass wie eine jungfräuliche Leinwand, und zahlreiche Knastkünstler hatten sie auch entsprechend benutzt. Von seinen Schultern bis zu den Fußknöcheln zierten schätzungsweise sechs grobe Skizzen und fünfzehn vollendete Werke seine Haut. Da gab es auf seinem rechten Bizeps ein Herz, in das eine Mistgabel gerammt war, und auf seinem linken ein Herz mit einem Spruchband, auf dem »Yesterday« stand. Oben und unten auf seinem Körper prangten Totenköpfe und gezackte Blitze und andere finstere Bilder, deren bedrohliche Symbolfracht in allen Knästen dieser Welt von Nutzen war. Irgendwann hatte Lunch sich ebenfalls mit der Technik dieser Kittchenkunst vertraut gemacht, und ohne auch nur den geringsten gestalterischen Plan hatte er mit einer Nadel und einem Fläschchen Tinte seine Körperleinwand attackiert. Auf einem Oberschenkel stand verkehrt herum »Repent« zu lesen und diese Aufforderung zur Reue war mit einem schwachen X ausgestrichen. Auf dem anderen Schenkel hieß es, diesmal richtig herum, »Born to Raise Hell«. Sein linker Unterarm trug die Aufschrift »Cubs Win!«.
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