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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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hundert – vielleicht hilft es ja, wenn du mich ein paar Kugeln stoßen siehst.«
    »Ich bau sie auf«, sagte Tip.
    Als John X und Tip zum Pooltisch gingen, blickte Gretel von ihrer Lektüre auf. Sie hatte sich in eine Geschichte über einen Mann in Central-Florida vergraben, dessen Garten als eine Art Panoptikum Aufmerksamkeit erregte, weil er den irren Dreh raushatte, Feldfrüchte, hauptsächlich Kartoffeln und Melonen, so wachsen zu lassen, dass sie Ähnlichkeit mit bestimmten Filmstars hatten, besonders mit Curly von den Three Stooges und mit Shelley Winters. Zudem hatte er eine weitaus größere Bandbreite an gut zu erkennenden berühmten Körperteilen herangezüchtet, fast ausschließlich Nasen und Brüste. Es gab da auch das Foto einer Süßkartoffel, die wahrhaftig Ähnlichkeit mit Curly hatte, und der Mann hielt zwei Honigmelonen in die Höhe, die für Melonen vielleicht etwas absonderlich geformt waren, aber für die Brüste eines Filmsternchens die perfekte Form besaßen, und der Mann hatte die beiden Marilyn getauft. Der Mann sagte auch, sein Garten sei das reine Wunder, wahrhaft ein Geschenk, wenn der Artikel sich auch irgendwie über ihn lustig zu machen schien.
    »Pfui«, stieß Gretel aus. Dann reichte sie hinüber und strich mit der Hand über Ettas Bürstenhaarschnitt, sodass sich die Haare sträubten. »Ich muss sagen, ich steh auf deine Frisur.«
    »Meine Mom hat sie sich ausgesucht«, sagte Etta. »Und ich muss damit rumlaufen.«
    »Gefällt sie dir nicht?«
    Etta zuckte die Achseln, nickte, zuckte wieder die Achseln.
    »Hab mich dran gewöhnt«, sagte sie. Sie rollte einen Hush Puppy durch eine Pfütze aus Remouladensoße und stopfte ihn sich dann in den Mund. Gretel überragte sie, hochschwanger in einem roten Hemdrock, und ihre grauen Hochlandaugen blickten gottergeben, aber munter. Die Narbe auf ihrer Wange war fingernagelbreit, rosa und rätselhaft, vielleicht sogar von romantischer Herkunft. Sie begann ungefähr zwei Zentimeter von ihrem rechten Auge entfernt, zog eine Furche über ihren Backenknochen und lief kurz oberhalb ihres Mundwinkels aus. Während Etta den Hush Puppy kaute, hob sie langsam die Hand in Richtung Gretels Wange, hielt aber kurz vor der Berührung inne. Sie schluckte schwer. »Woher hast du die Narbe?«
    Gretel legte vier Fingerspitzen der Länge nach auf die Narbe.
    »Jah-we hat sie mir verpasst«, sagte sie bedeutungsschwer, »weil ich unachtsam war. Ich hätte lenken sollen.«
    »Jah-wer?«, fragte Etta.
    »Jah-we. Andernorts auch Gott genannt.«
    »Kann ich mal anfassen?«, fragte Etta. »Ich pass auch auf, dass ich dich nicht kratze.«
    Gretel nahm die Fingerspitzen von der Narbe und schob die blonden Haare nach hinten.
    »Bedien dich«, sagte sie. »Ist irgendwie anders.«
    Überaus behutsam legte Etta die Finger auf die Narbe und ließ sie die Spur stolzen Fleisches verfolgen. In dem jungen Gesicht und den gescheiten Augen spiegelte sich wider, wie gefesselt sie war.
    »Das ist ja obergeil! Echt seidig. Seidig wie Satin.«
    Leise lachend beugte Gretel das Gesicht Ettas Berührung entgegen.
    »Inzwischen liebe ich, wie sie sich anfühlt«, sagte sie. »Ich seh sie als spirituelles Mahnmal.«
    »Sie ist seidig wie Satin«, sagte Etta abermals. Und dann: »Sag mal, darf ich auch mal deinen Schmetterling streicheln?«
    »Sicher. Der Monarch fühlt sich aber nur nach Haut an.«
    Stew lehnte sich zu Gretel hinüber und sagte mit schroffer, aber müder Stimme: »Erzähl mir nichts. Erzähl mir nichts von Narben, die man sich aus Unachtsamkeit einfängt. Ich hab meine auf dieselbe Weise bekommen.«
    Gretel lächelte ihm zu, und Etta fragte: »Wo ist die denn?«
    »Wer?«
    »Deine Narbe.«
    Stew griff sich mit der Hand an die Brust und tippte mit dem Finger aufs Herz.
    »Ah-ha«, sagte Etta. »Diese Narbe war’s, die dich gestern Abend zum Weinen gebracht hat.«
    Stew sagte: »Dein Daddy liebt dich nicht, kleines Mädchen. Ich finde, dass ich’s dir sagen muss. Dein Daddy liebt niemanden, den er nicht beim Rasieren im Spiegel sieht.«
    »Na, na, das sind harte Worte, Mister«, wandte Gretel ein. »Besser, Sie sind still.«
    »Das kleine Mädchen sollte’s wissen«, sagte Stew. Er vermied den Augenkontakt. »Manche Dinge gehören auf den Tisch, glaubt mir.«
    »Still.«
    »Das ist zu aller Nutzen.«
    »Mom hat das auch immer gesagt«, verkündete Etta.
    »Hör auf deine Mom, kleines Mädchen.«
    »Ihr hab ich auch nicht geglaubt.«
    »Was ist für Sie denn Liebe?«,

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