Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Hände erschienen Blutstropfen, und Jewel beobachtete, wie sie auf den Boden klatschten. Manchmal veranlasste ihn die Flugbahn dieser Tropfen, auf dem Gehweg stehenzubleiben, und dann verharrte er, hoffnungslos, beugte sich ein wenig vor und zielte mit dem Blut auf Risse im Gehweg, auf Zigarrenstummel oder Glasscherben.
Es gab einfach zu viel Sonderbares hier. Leute gingen um einen herum, sahen in die andere Richtung, wussten aber trotzdem, dass man auf der Flucht war. Schaust du auf, merkst du gleich, wie sie dich aus dem Augenwinkel beobachten. Fällst du hin, umzingeln sie dich. Kein Zweifel.
Als Jewel drei Straßen ostwärts gegangen war und sich immer mehr an die Blutbomben gewöhnte, lehnte er sich an eine Telefonzelle, um auszuruhen. Er versuchte nachzudenken, konnte aber zu keiner richtigen Schlussfolgerung kommen. Seine Gedanken schienen schwerfällig und schwach; dass er je geglaubt hatte, er sei scharfsinnig und stark, kam ihm jetzt wie ein großer Irrtum vor. Das dachte er jetzt, und das Misstrauen in die eigene Denkfähigkeit lähmte ihn. Mit seinen blutbeschmierten Händen schlug er sich gegen die Stirn und überlegte, für wessen Seite sein Verstand überhaupt arbeitete!
Schließlich richtete er sich auf. Als er die Hand von der Glaswand der Telefonzelle nahm, sah er, dass er einen blutigen Abdruck hinterlassen hatte. Mit dem Ellbogen wischte er ihn weg. Plötzlich nahm ein Gedanke aus seinem Unterbewusstsein Gestalt an. Einen Moment verharrte Jewel bewegungslos. Er entdeckte in seiner Tasche tatsächlich etwas Kleingeld. Das Telefonbuch war nicht herausgerissen, und auch das schien ihm ein gutes Omen.
Jewel fand die Nummer und wählte mit zittrigen Fingern.
Beim sechsten Klingeln antwortete eine Frauenstimme in lässigem Großstadtton.
»Kellys Pool Hall, Kelly am Apparat.«
»Was? Wer sind Sie?«
»Wen suchen Sie denn?«
Mit der freien Hand hielt Jewel seinen Kopf, indem er an den Haaren zerrte.
»Ich hab die Nummer aus dem Telefonbuch. Ich suche Pete.«
»Pete? Den Snooker-Spieler? Normalerweise ist der hier, aber im Moment leider nicht.«
»Wissen Sie, wo er wohnt?«
Das Lachen der Frau weckte in Jewel eine große Sehnsucht nach ländlichen Straßen mit kleinen Geschäften, höflichen Bedienungen und gutmütigen Sheriffs, die einem am Samstagabend zuzwinkerten.
»Vollidiot«, sagte die Frau schließlich. »Er wohnt hier.«
»Ich hab die Nummer ja auch gewählt.«
»Bist du Cobb?«
O nein, dachte Jewel.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Weil Pete dich sucht, Arschloch. Deshalb.« Die Frau hielt inne, dann fragte sie neugierig: »Woher kommst du eigentlich, Cobb?«
Ihre unvermittelte Freundlichkeit ließ Jewel ganz nostalgisch werden.
»Aus einem netten kleinen Ort namens Willow Creek.«
»Ach, wirklich? In der Gegend muss es ja eine ganze Menge Dumpfbacken geben – nach dir zu urteilen.«
»Herrgott, Lady«, sagte Jewel traurig. »Was soll das? Sie kennen mich nicht mal – warum sind Sie so fies? Vielleicht bin ich ja genau wie Ihr Lieblingsonkel, könnte doch sein.«
»Armes Herzchen«, erwiderte sie. »Ich bin Peggy, Petes Frau, und ich bin zu niemandem nett, der mit Pete befreundet ist.«
»Ah. Ich bin aber nicht mit ihm befreundet, ich suche ihn nur, weiter nichts.«
»Versuch’s im Catfish.«
»Wo?«
»In der Catfish Bar. In der Lafitte Street, am Fluss. Da steht er bestimmt am Pooltisch, wenn ich mich nicht sehr irren sollte – und das ist eher unwahrscheinlich.«
Das Telefon klickte an Jewels Ohr, aber er sagte trotzdem noch danke, bevor er aufhängte.
15
Ecke Lafitte und Clay Street entdeckte Shade einen kleinen, dunklen Mann, den er als Claude Lyons identifizierte. Er saß auf der Kühlerhaube eines verbeulten Toyota, der vor der Veranda eines weißen Mietshauses parkte, und trank Tab aus einem Plastikbecher.
Shade ließ sich neben ihm nieder, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Na, wie geht’s, Claude?«
Lyons hob sein schlichtes Gesicht und lächelte beinahe. Er hatte dichte braune Haare und war breit gebaut.
»Hey, Rene. Bist du auf Stimmenfang im Viertel, hä? Ich dachte mir schon, dass du es mal zu was bringst in der Welt.«
Shade nickte, obwohl er nicht recht verstand, worauf er hinauswollte.
»Ist sie tot?«, fragte Lyons unvermittelt.
»Wer?«
Nach einem Schluck Diätlimo wandte sich Lyons mürrisch zu Shade um.
»Es waren die Schwarzen, hab ich gehört. Ich dachte, mit der Scheiße sei Schluss. Falls sie wirklich tot ist. Sag du’s
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