Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
dran«, erklärte sie und nickte. »Es handelt sich um ein wissenschaftliches Experiment.«
»Mhm.«
»Er glaubt an die Evolutionstheorie, wissen Sie, nicht an das Bibelgewäsch. Er glaubt, wenn man genug schmutzige T -Shirts sammelt, dann erhebt sich irgendwann ein großes Blubbern und Gurgeln, und schließlich hat man einen bildschönen Stapel ordentlich gefalteter Maßhemden.«
»Hört sich an, als wär Ihr Pete ein toller Kerl.«
»Oh, ist er auch. Wirklich. Ein kluges Köpfchen, der geborene Wissenschaftler.« Sie stand auf und stellte sich direkt vor Shade. »Und für die hab ich ’ne Schwäche. Ich bin ganz verrückt nach Wissenschaftlern.«
»Das klingt nach ’ner sicheren Sache.«
»Wissen Sie denn, was den Wasserkessel zum Kochen bringt?«, fragte sie, schob ein Bein zwischen seine und blickte zu ihm auf.
»Hitze«, antwortete er.
Ein Ausdruck schlangenhafter Selbstsicherheit erschien auf ihrem Gesicht, und mit der freien Hand griff sie Shade zwischen die Beine.
»Siehst du«, sagte sie und senkte den Kopf, »du bist ja selbst so eine Art Wissenschaftler.«
»Ich hab mir schon gedacht, dass ich die nötigen Qualifikationen besitze.«
In diesem Moment erklang heftiges Klopfen von der Verandatür. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte ein Mann herein. Er machte ein wütendes Gesicht und hatte einen dicken Bauch.
»Wo ist dein gottverdammter Alter, Peg?«, fragte er. Dann sah er Shade, war wenig beeindruckt, würdigte ihn aber immerhin eines zweiten Blickes. »Sie kenn ich doch. Sie waren früher mal Boxer.«
»Stimmt.«
Der Mann schnaubte verächtlich.
»Hab ein paarmal mitgekriegt, wie man Ihnen die Fresse poliert hat.«
»Klar. Anscheinend hat nie jemand gesehen, wie ich gewonnen habe.«
»Tja, als ich Sie gesehen hab, haben Sie nichts Besonderes geboten.« Mit ausgestrecktem Zeigefinger ging er auf Peggy zu. »Dein Alter hat mein Boot genommen. Das gefällt mir nicht. Er hat nicht mal gefragt, hat es einfach genommen.«
»Die Leine ist gerissen«, erklärte Peggy. Sie sah Shade an. »Er versucht es wieder einzufangen, bevor es zu weit wegtreibt.«
»Aha. Ich hab’s aber nicht vorbeitreiben sehen. Und als ich grade in meinem anderen Boot hierhergekommen bin, da hab ich Lichter gesehen, die sich stromaufwärts bewegen, Richtung Sumpf.«
Shade ging zum Telefon, das auf dem Tisch stand, und wählte.
»Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?«, wollte der Nachbar wissen.
»Willste ’n Bier?«, bot Peggy an.
Als Blanchette sich meldete, sagte Shade: »Ich bin’s, How. Ledoux steckt mit drin in der Sache. Er ist es. Ich bin in seiner Wohnung.«
»Hast du ihn?«
»Nein. Er ist in einem Boot. Ich vermute, Cobb ist bei ihm. Sie sind drüben im Marais du Croche. Ich werd mich an ihre Fersen heften.«
»Hey, bleib cool, Partner. Das ist ein beschissenes Labyrinth da unten.«
»Dann mach dich auf die Socken und hilf mir, How.«
Shade legte auf und blickte aus dem Fenster. Er sah die Lichter des am Landesteg befestigten Boots.
Kurz entschlossen hielt er dem Nachbarn seine Marke unter die Nase.
»Ich brauche Ihr Boot. Polizeiliche Ermittlungen.«
»Nein, ausgeschlossen«, erwiderte der Dicke und stellte sich vor die Tür. »Niemand nimmt mein Boot.«
»Ich bin Polizist.«
»Das ist mir scheißegal, und wenn Sie das ganze Polizeikorps wären. Ich bin Harlan Fontenot, und das ist mein Boot.«
Blitzschnell täuschte Shade einen rechten Haken in Richtung Fontenots Kinn an, und als der Dicke schützend die Hände hob, landete Shades Linke mitten in seinem Wanst. Der Mann sackte zusammen und ging zu Boden.
Shade ging um ihn herum. »Ich hab leider keine Zeit.«
Den Weg von der Tür zum Dock legte er im Laufschritt zurück. Er stieg in das Boot, stieß sich ab und nahm die Verfolgungsjagd in den Sumpf namens Marais du Croche auf, in dem sich mindestens ein Killer versteckt hielt.
20
Der Marais du Croche war von unzähligen Sumpflöchern und Schlammbänken durchzogen, sodass er von oben aussah wie ein riesiger Fingerabdruck. In seinem Labyrinth verirrten sich selbst die, welche dachten, sie würden ihn kennen, und weil der Sumpf nach jedem Regen und besonders nach den jährlichen Frühlingsüberschwemmungen eine neue Form annahm, war jeder Versuch, ihn auf eine Landkarte zu bannen, zum Scheitern verurteilt.
Seit Jahren war Shade nicht mehr im Sumpf gewesen. Als er zur Frogtown-Jugend gehört hatte, mit Schmalztolle und passender Jacke, mussten die Ufer des Sumpfes für zweifelhafte
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