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Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)

Titel: Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Woodrell
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Initiationsriten herhalten. Klapprige Hühnerställe wurden gebaut und zu Clubhäusern ernannt. Auf dem Boden lagen fleckige Matratzen, in den Ecken verbeulte Bierdosen, die die neu erwachte Männlichkeit zu spüren bekommen hatten, und leere Flaschen, in denen Wodka mit Fruchtgeschmack gewesen war. Die unwahrscheinlichsten Zeitschriftenseiten schmückten die Wände, und verzweifelte Mädchen erwarben sich hier, vornehmlich auf den sauberen Stellen der Matratzen, unsterblichen Ruhm in der Nachbarschaft. Früher hatte Shade dieses Terrain gekannt wie seine Westentasche. Aber er wusste, dass er jetzt nur zu Besuch war.
    Der Vollmond schien ungehindert vom wolkenlosen Himmel und verbreitete sein blasses Zwielicht.
    Shade ließ das geliehene Fahrzeug Runden ziehen und suchte in den Buchten und Wasserarmen nach den anderen Booten. Die verschiedenen Strömungen flossen zusammen und verebbten und spritzten und wogten in einem ständigen Flüssigkeitsgemurmel. Manchmal glaubte er, ein anderes Boot zu hören, aber das Geräusch wurde vom Sumpf in alle möglichen Richtungen weitergetragen – einen Moment schien es aus den breiten Hauptarmen zu kommen, im nächsten Augenblick von den riesigen Sandbänken flussabwärts.
    Die herabhängenden Äste zwangen Shade, auf die Knie zu gehen, während er das Boot durch träge, stinkende Wasserstraßen lenkte. Sumpfligusterranken verhedderten sich in seinen Haaren, und im Dickicht war das Mondlicht keine Hilfe mehr. Das Wasser blubberte. Gerüche, die seit Generationen vor sich hin gärten, stiegen aus tiefsten Tiefen und wehten ihm ins Gesicht. Ein seltener, kräftiger, bedeutungsvoller Gestank, der Shade durchaus nicht unangenehm war.
    Es war viel zu lange her, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Das spürte er jetzt.
    An einem Ort, der sich über jeden vorgefassten Plan lustig machte, wären taktische Überlegungen illusorisch gewesen, also ließ sich Shade treiben, wohin es der Zufall wollte, und hielt die Augen nach eventuellen Hinweisen offen.
    Während sich ein Sumpfarm in den anderen schlängelte und Shade bald ins Zentrum führte, bald an den Rand zurücktrieb, wog er nachdenklich seine Pistole in der Hand. Er hoffte, ein Leben retten zu können, aber ihm war klar, dass die Situation andere Möglichkeiten einschloss, und war auch bereit, ein Leben auszulöschen, falls die Umstände dies erforderten.
    Der kleine Cobb war amateurhaft und ungeschickt. Shade hoffte, dass er den Jungen nicht umbringen musste. Aber das Schicksal ging oft seltsame Wege, und ein halbes Leben früher hätte er an Cobbs Stelle im gleichen Boot sitzen können. Nur seine Feigheit oder vielleicht auch pures Glück hatten ihn davor bewahrt – und das hatte Shade bei allem, was er tat, stets vor Augen.
    Genau das war der Punkt, der seinem Leben Bedeutung verlieh. Nicht bedingungslose Liebe zum Gesetz trieb ihn an – obgleich er eher dafür als dagegen war. Und eben deshalb, das fühlte er, war er fähig, vernünftig zu handeln. Und dies war seit je seine Maxime.
    Er hatte schon länger kein Motorengeräusch mehr gehört, als er ein Boot entdeckte, das man auf eine Landzunge gezogen hatte. Wie hektische Fingernägel hatte sich die Flügelschraube des Motors in den Schlamm gegraben.
    Shade fuhr heran und band seine Leine an das auf Grund liegende Boot. Es war leer. Die Landzunge führte zwischen den Bäumen tiefer in den Sumpf. Man konnte sie mit den Augen nicht weit verfolgen, denn sie verlor sich rasch im Dunkel von Gestrüpp und Bäumen – schon nach zwanzig Metern war ihr Verlauf nur noch zu erraten.
    Shade beschloss, sie auszukundschaften.
    Jewel Cobb dagegen beschloss nach kurzer Zeit, dass der Versuch, in diesem Sumpf irgendwohin zu gelangen, kindisch war. Jeder zweite Schritt führte ins Dunkel, in ein Schlammloch oder einen Graben, und auch sonst gab der Boden zeitweise so weit nach, dass man Herzklopfen kriegte, und dann wurde er auf einmal wieder fester. Zweimal war Jewel schon im Wasser gelandet. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand Kaffeesatz in seine Shorts geschüttet, und sogar zwischen den Arschbacken scheuerte der Sand. Seine Zähne knirschten auf uraltem Moder, und seine Schuhe quietschten wie ein drittklassiger Geiger.
    Ein Stück weit war Jewel wie ein Wahnsinniger losgerannt, war gegen Bäume gekracht, hatte sich mit den Stiefeln in Baumwurzeln verfangen, stolperte, stöhnte, platschte durch tümpelartige Pfützen und lachte, getrieben von einer hoffnungslosen

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