Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
dazu.«
Leon sah auf seine Stiefelspitzen hinunter, dann hinauf in die Bäume, die sich sanft in der schwülen Abendluft wiegten.
»Weißt du«, sagte er. »Es ist stockdunkel hier draußen.«
»Komm bloß nicht auf komische Ideen«, erwiderte Wanda mit fester Stimme. »Du bist ganz okay, aber eben nicht mein Typ. Das ist alles. Wenn du meinst, du kannst hier irgendwas anstellen, nur weil’s dunkel ist, dann hast du dich geirrt.«
»Ich finde, du bist das schönste Mädchen in ganz Frogtown«, sagte er.
»Ja, das hast du mir schon mal gesagt, Leon. Damit kommst du auch nicht weiter.« Wanda war schon auf dem Fußweg zu ihrem Haus, die Biertüte im Arm. »Bis später, Leon. Sei nicht sauer.«
Als sie zur Tür kam, sah sie, dass ihr einziger Nachbar die Straße überquerte und zurück zu seinem Haus ging. Sie knipste sämtliche Lichter an, ein nächtlicher Exorzismus, um die Ängste zu vertreiben, von denen sie noch niemandem erzählt hatte. Denn hier, jenseits der Eisenbahnbrücke, jenseits der tröstlichen Nähe von Familie und Straßenlaternen, wohnte Wanda zwar billig, aber immer auf Kosten ihrer Nerven. Nicht mal einen Katzensprung hinterm Haus begann der Vache Bayou, ein Nebenarm des Marais du Croche. In diesem abgelegenen Teil von Frogtown erhielten Leute, die sich für besonders hart hielten, jede Menge Gelegenheit, das auch unter Beweis zu stellen. Sie allerdings fühlte sich allein und allen möglichen Gefahren und Gemeinheiten ausgeliefert.
Nach einer heißen Dusche holte Wanda ein Säckchen mit Gras aus eigenem Anbau aus dem Gemüsefach des Kühlschranks und drehte sich ein paar Joints, während sie ihren feuchten Körper in der heißen Luft trocknen ließ.
Ein paar Minuten später zündete sie sich einen Joint an, tapste ins hintere Zimmer und schaltete die Stereoanlage ein. Während sie sich anzog, hörte sie Roseanne Cash dabei zu, wie sie über Leute sang, die genau wie sie waren. Sie wählte ein himmelblaues Top mit ausgefranstem Saum, das gerade den letzten Rippenbogen verdeckte, und dazu ein Paar glänzende weiße Seidenshorts, die auf ihren Hintern gehaucht schienen wie heißer Atem auf ein kaltes Juwelierschaufenster.
Auf dem Weg hinaus schnappte sie noch schnell ein Bier und ging dann auf die Veranda, von der man einen Blick auf die endlose Schlammpfütze hatte, die allgemein als Bayou bekannt war. Da der Plattenarm noch auflag, fing die Musik immer wieder von vorn an. Während Wanda so dastand, dachte sie über die üblichen Dinge nach, über die sie jetzt schon die ganzen zweiundzwanzig Monate grübelte, seit Ronnie Bouvier im Knast saß. Heute dachte sie vor allem an das, worum er sie gebeten hatte; das machte ihr bei Weitem die größten Sorgen, denn da steckte sie bereits mittendrin. Sie liebte ihn, und sie würde weiterhin tun, was getan werden musste, wie immer. Früher, genauer gesagt bis vor zweiundzwanzig Monaten, hatte sie gedacht, dass er für jede wichtige Frage in ihrem Leben eine Antwort parat hätte. Aber jetzt musste sie sich um ihn kümmern und ihn aus Braxton rausholen, denn die Zukunft wartete auf ihn, wunderschön verpackt wie ein Weihnachtsgeschenk.
Es waren erst fünf Jahre vergangen seit jenem Frühlingsabend, an dem sie Rollschuh gelaufen war, ein Mädchen mit einem erwachsenen Körper und einem unzweifelhaft unanständigen Ruf. Und ausgerechnet da war Ronnie Bouvier, die Haare nach hinten gekämmt wie ein Rocksänger, in seiner blauen Corvette aufgetaucht und hatte sich in der Dairy Maid neben der Rollschuhbahn an sie rangemacht. Das Erste, was sie ihn durch das Knattern des Motors sagen hörte, war: »Sind das deine Titten, Schätzchen? Ich finde, die sehen aus wie von ’nem Filmstar.«
»Ach woher«, hatte sie erwidert, obwohl sie genau wusste, dass dem so war, und im Handumdrehen hatte dieser Mann, der älter war als ihr Vater, sie überrumpelt, und noch bevor sie den Parkplatz verlassen hatten, hatte er sie schon aus ihren hautengen Jeans geschwatzt. Ihr war sofort klar gewesen, dass er anders und dass dieses Rein-Raus-Spielchen ein Zeichen der Liebe war. Zwei Tage später zog Wanda bei ihren Eltern aus und betrat eine neue Welt – die Welt der Restaurants, der langen Nächte in Rasthaus-Hinterzimmern und der des Geldes. Des großen Geldes. Dann erzählte ihr Ronnie eines Tages, dass das Pech schon ein Leben lang um sein Haus geschlichen war und jetzt mal wieder direkt vor der Tür eine Parklücke gefunden hatte. Bloß eine kleine Sache, bei der Mr. B.
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