Im Süden: Die Bayou-Trilogie (German Edition)
Rock-and-Roller, hatte lange schwarze Wuschelhaare, und von seinem linken Ohr baumelte ein langer glitzernder Ohrring, den man als Köder für einen respektablen Barsch hätte benutzen können. Seine Nase war schmal und so spitz, dass sie einen Ballon zum Platzen gebracht hätte; seine Wangen wirkten bläulich vor lauter Bartstoppeln. Er trug ein schwarzes T -Shirt mit einer .38er Special darauf und eine blaue Arbeitshose, deren linkes Bein über dem Gipsverband abgeschnitten war.
»Bist du vorbeigekommen, um mir zuzusehen, wie ich auf meinem Rückenkratzer improvisiere, Shade?«
Shade lehnte sich in seinen Sessel zurück und legte die Füße auf den Couchtisch. Mit ausdrucksloser Miene und ohne zu blinzeln starrte er Willie an.
»Trägt die ganze Band ’nen Gips, Willie? Ich meine, ich bin nicht auf dem neuesten Stand, was Rockkonzerte angeht, aber eine Band mit Gips, das wär schon ’ne Sache – wenn auch nicht unbedingt ’ne gute.«
»Hey«, sagte Willie. »Gute Idee. Ich werd’s mal mit den Kollegen besprechen. Den Drummer würd ich gern von oben bis unten eingipsen, Mann. Der kommt zwar immer pünktlich, aber von Rhythmus hat er noch nie was gehört.«
Willie Dastillon war ein Dieb und Spieler, gab sich aber als Musiker aus. Im Lauf der Jahre hatte er mehrere Bands gegründet, aber die Einbrüche und das Streben nach Glück in Pulverform hatten dazu geführt, dass sich keine Gruppe länger als einen Sommer hielt. Der Junge mit den blauen Flecken und die Frau, die arbeiten ging – was er nicht tat –, waren der lebende Beweis dafür, wie abgestumpft und eitel Willie war. Von dem Geld, das er allein beim Würfeln verspielte, hätten sie sich schon ein viel besseres Leben leisten können. Aber er setzte lieber Bettys Lohntüte auf einen Boxer, den er nie zuvor gesehen hatte, oder auf ein plattfüßiges Pony oder eben auf die rollenden Würfel. Willie war ein Mann mit einer Blechtröten-Gegenwart, der von einer Rockoper-Zukunft träumte.
»Was ist mit deinem Bein passiert?«, fragte Shade.
»Das Übliche – ich war bei einem Stones-Konzert in L.A. hinter der Bühne, verstehst du, und da kommt mein alter Kumpel Jack Nicholson, der ja auch gern ordentlich einen draufmacht, und sagt: ›Willie, geh doch mal auf die Bühne und lass bei Beast of Burden richtig die Sau raus, dass Jagger sich vor Scham in der Garderobe versteckt.‹ Weil Jack und ich so dicke miteinander sind, geh ich natürlich raus, und Keith Richards nickt und grinst, und Jagger verbeugt sich vor mir und drückt mir das Mikro in die Hand, und plötzlich fliegt ’n Haufen Blumen auf die Bühne, und Blitzlichter blitzen, und ich seh bloß noch Titten vor mir rumwackeln, und da dreh ich durch, fall vom Laufsteg und brech mir das Bein. Auf dem Live-Album hört man den Knall, Mann.«
»Ja, sicher«, meinte Shade. »Ich glaub, ich war auch da und hab im Backgroundchor gesungen, erinnerst du dich? Beim nächsten Mal könntest du mich doch vielleicht auch erwähnen, ja, Willie?«
»Kommt ganz drauf an, wem ich die Geschichte erzähle, Shade. In gewissen Kreisen gewinnt man mit deinem Namen keinen Blumentopf.«
Jetzt fiel Shade plötzlich auf, wie Willies Ohrring bei jeder Bewegung auf und ab hüpfte. »Was ist eigentlich mit den Ohrringen?«, fragte er.
»Was?« Willie fasste sich unwillkürlich an das Glitzerding. »Das ist gerade modern.«
»Weiter nichts – bloß modern?«
»Ja. Meine Kumpels haben alle welche.«
»Und es hat nichts zu bedeuten? Zum Beispiel ›Hey, ich bin für soziale Gerechtigkeit‹, oder ›Feiert, bis ihr kotzt‹ oder ›Wir treffen uns im Männerklo‹ oder so was?«
»Nein, Mann. Nein. Ist bloß Mode.« Willie drehte den Kopf so zur Seite, dass Shade den Ohrring genau betrachten konnte. »Ich hab auch nur den hier, was glaubst du denn, Mann?«
Shade verzog den Mund und nickte langsam.
»Sehr modern, Willie.« Dann beugte er sich vor und klopfte auf das Gipsbein. »Ich hab ein paar Fragen.«
»Wusst ich’s doch.« Willie schob die Sonnenbrille hoch, als könnte er sich dadurch irgendwie tarnen. »Aber ich hab keine Antworten.«
»Da macht ein Gerücht die Runde, dass ein Cop hier in der Gegend ein paar Beine gebrochen hat, entweder dem Gemeinwohl zuliebe oder als Nebenjob, das weiß ich nicht. Aber das Gerücht besagt, dass er sich ohne Lizenz der Baseballschläger-Chiropraktik gewidmet hat.«
»Cops sollen uns doch beschützen«, grinste Willie hinter seiner Ray-Ban hervor, »und uns nicht
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