Im Tal der Mangobäume
Harry. Unbeeindruckt. Eiskalt.
»Es hat einen Unfall gegeben.«
Ein Unfall interessierte Harry einen feuchten Kehricht, aber das sagte er lieber nicht, weil Mr.Otway dann garantiert so eine finstere Miene gemacht hätte, wie er es bei unpassenden Bemerkungen immer tat.
»Dein Vater«, sagte Mr.Otway, »hatte einen Herzinfarkt. Draußen auf der Pferdekoppel. Deine Mutter hat ihn gefunden. Ich habe ihn zum Haus getragen.«
Er zog ein ordentlich gebügeltes Taschentuch hervor und tupfte sich damit die feuchte Stirn ab. »Weißt du, Harry, ich bin auf gut Glück in die Stadt gefahren. Ich habe mir gedacht, inzwischen müsstest du doch da sein. Ansonsten hätte ich dir eine Nachricht hinterlassen. Aber ich habe gehofft, dich zu finden.« Er seufzte. »Ich bedaure wirklich sehr, es dir sagen zu müssen, Harry. Aber als ich dort eintraf, war Gillie tot. Ich konnte nichts mehr für ihn tun.«
»Wann war das?«
»Vor neun Tagen. Zwei Tage darauf hat deine Mutter die Beerdigung in die Wege geleitet. Dein Vater wurde auf dem Friedhof hinter der Kirche begraben.«
Blinzelnd stammelte er: »Harry … und dann wäre da noch deine Mutter.«
»Was ist denn mit ihr?«
»Sie ist auch nicht mehr da.«
»Nicht mehr da? Wo ist sie denn hin?«
Mr.Otway holte tief Luft. »Das wird jetzt schwer für dich, Harry, aber deine Mutter … Manche trifft ein Trauerfall schwer … nach der Beerdigung … da ist sie heimgegangen und hat sich in den Fluss gestürzt. Und ist ertrunken. Einige Landarbeiter haben vom anderen Flussufer aus zugesehen, wie es passiert ist, aber sie konnten sie nicht retten. Sie wurde vor ihren Augen fortgetrieben.«
Harry nickte. Stumm.
»Wir haben sie neben Gillie begraben. Vikar Trenmell hat dafür eine Sondererlaubnis bekommen.«
Von wem?, fragte Harry sich geistesabwesend. Und wieso? Wohl, weil keine Familienmitglieder da waren.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Mr.Otway. »Wenn du einen Brandy willst, kann ich dir einen holen, Harry. Der dämpft den Schock.«
»Nein, danke, Mr.Otway. Der Tee tut es erst mal auch.« Er dachte an seine Mutter. Dass sie sich sofort nach dem Tod ihres Mannes das Leben genommen hatte, erstaunte ihn keineswegs.
»Typisch«, murmelte er. »Verdammt typisch.«
Allmählich reichte es Duke mit Mr.Bloom. Der Anwalt hatte versprochen, eine Abschrift des Testaments ins Hotel zu schicken, doch nichts dergleichen war geschehen, weshalb er auf die Zeitung angewiesen war, in der allerdings wiederum nichts erwähnt wurde.
Da er an diesem Morgen nichts Besseres zu tun hatte, ging er zu Blooms Kanzlei und erfuhr dort, der Anwalt sei bei Gericht.
»Macht nichts«, erklärte er dem Bürogehilfen. »Ich bin hergekommen, um eine Abschrift des Testaments meiner Mutter abzuholen. Könnten Sie sie mir bitte aushändigen?«
»Ah, ja, Mr.MacNamara. Ich fürchte, die ist noch nicht angefertigt. In letzter Zeit hatten wir alle Hände voll zu tun. Anscheinend stehen derzeit nur dringliche Fälle an.«
»Ich brauche dieses Testament auch dringend!«
»Wirklich?« Der Angestellte zwinkerte unter seinem grün gestreiften Augenschirm.
»Jawohl! Morgen hole ich es ab.«
»Morgen ist Samstag. Es könnte eventuell bis Montag fertig sein.«
»Es ist wichtig!«, herrschte Duke ihn an und ging.
»Natürlich«, erklärte Milly der Frau des Premierministers, »waren sie immer gute Freunde, Dolour und Jasin, trotz der Meinungsverschiedenheiten zwischen ihrem Mann und ihm.«
»Wirklich? Das wusste ich gar nicht.« Cissie Palmer horchte auf.
»O ja. Hat mich gar nicht überrascht, als ich Jasin Heselwood in der Kirche sah. Ich habe gewusst, dass er ihr die letzte Ehre erweisen wollen würde.«
»Ohne Lady Heselwood? Er ist ohne seine Frau zu Mrs.Rivadavias Trauergottesdienst gegangen?«
»Mal ganz unter uns«, flüsterte Milly über den Tisch im Teesalon des
Victoria
hinweg. »Ich bezweifle, dass Georgina davon gewusst hat. Sie und Dolour waren beileibe keine Freundinnen. Vor ein paar Jahren hat es dann böses Blut gegeben. Kurz nachdem Pace ermordet wurde.«
»Du meine Güte! Weshalb denn?«
»Da war ich mir nie ganz sicher«, meinte Milly vorsichtig. Ihr kam in den Sinn, dass sie das Geheimnis vor Mr.Bloom ausgeplaudert hatte. Sie wünschte, sie könnte es ungeschehen machen, denn Dolour hatte nie jemandem aus der Familie von Edwards Angriff auf ihre Person erzählt. Ihre Söhne wären außer sich gewesen.
Andererseits, tröstete sich Milly, wenn ein Anwalt nicht diskret war, wem
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