Im Tal der roten Sonne - Australien-Saga
irrte, denn er hatte auch bei Luke eine gewisse leise Bewunderung für sie festgestellt. Er schüttelte den Kopf, während er verfolgte, wie die Frau die Rebstöcke betrachtete. Carla war das Ebenbild des alten Mannes - es war wirklich unheimlich. Das gleiche aufbrausende Temperament, die gleiche Entschlossenheit und Starrköpfigkeit, wenn es darum ging, etwas zu tun, was sie als das Beste für sich und ihren Sohn erachtete.
Einige Sekunden lang dachte Josh an die Möglichkeit, dass Carla erfolgreich sein und den Traum ihres Vaters erfüllen würde. Mist, das würde dem alten Carl überhaupt
nicht gefallen... Aber schließlich war sie jung, vital und vermutlich clever, obwohl sie den Einfluss und den starken Willen der Stenmarks nicht richtig einschätzte. Carl war ein Furcht einflößender, erbitterter Gegner, und Lisel war zu allem fähig. Er ahnte, dass sie aus Gründen, die nur ihr allein bekannt waren - vielleicht wegen ihrer Affenliebe zu Luke -, alles dransetzen würde, ihre Nichte zu vertreiben.
Aber was wäre, wenn durch eine merkwürdige Laune des Schicksals Carla nicht scheitern würde? Wenn sie und Angie Dupayne Erfolg hätten und - nur spaßeshalber - wenn der alte Carl die Vergangenheit ruhen lassen und Carla in seine Familie aufnehmen würde? Dann wäre aber die Katze im Vogelkäfig los! Die Hände in den Hosentaschen vergraben, schaukelte er auf seinen Absätzen hin und her und ließ seiner Fantasie kurzfristig freien Lauf. Wenn das geschah, hätte der alte Carl eine Blutsverwandte, die sein Erbe Rhein-Schloss übernehmen könnte. Und da Carla einen Sohn hatte und der alte Mann äußerst konservativ war, was das Erben anging, konnte die Lage sehr interessant werden. Für alle Stenmarks.
Vor diesem Hintergrund würde es sich für Josh bezahlt machen, sich mit Carla Hunter anzufreunden. Lieber wäre es ihm, er könnte sie besteigen und ihr zeigen, was für ein Kerl er war, aber eins nach dem anderen. Zuerst müsste er ihre Freundschaft gewinnen, dann erst würde er sie bumsen. Der Gedanke erregte ihn, und er leckte sich voller Vorfreude über die Lippen. Diese Vorstellung gefiel ihm außerordentlich.
Carla war in Nuriootpa, um einzukaufen. Es war ein herrlicher Wintertag: blauer Himmel, keine Wolken und mild. Doch Carla war nicht in der Stimmung, um all das zu schätzen. Ihr Vorstellungsgespräch beim Direktor der Nuriootpa
High School war negativ verlaufen. Damit hatte sie sämtliche Möglichkeiten, mithilfe ihrer Zeugnisse als Lehrerin eine Stelle zu finden, erschöpft. Die Schulen suchten keine Lehrer, und es gab eine ›Hackordnung‹ um Jobs wie ihren, die vom Bildungsministerium kam. Die Aussicht, im Winter eine Gelegenheitsarbeit in Barossa zu finden, war ebenfalls gering, weil die meisten Jobs tourismusorientiert waren.
Und was die Sache noch verschlimmerte: Gestern Abend hatten sie und Angie nochmals ihren Geschäftsplan überprüft und festgestellt, dass sie mehr Geld ausgegeben hatten als eingeplant. Das Geld wurde bereits knapp, und die entsprechende Arbeit an den Reben, damit die Frühjahrsblüte gelingen konnte, war noch nicht abgeschlossen. Irgendein Einkommen wäre auf jeden Fall hilfreich.
Auf der positiven Seite hatte sich Sam in seiner Schule gut eingelebt. Jeden Morgen fuhren er und Su Lee im Schulbus zur Schule, und Kim freute sich, dass ihre kleine Schwester die Möglichkeit hatte, die Bildung zu erhalten, die ihr verwehrt worden war. Carla hatte keine Ahnung, wie sie die ganze Arbeit auf dem Weingut ohne die Hilfe der Loongs überhaupt hätte schaffen können. Kim und Tran waren gewissenhafte und begeisterte Arbeiter und hatten eine Menge Erfahrung. Angie brauchte ihnen nur ein einziges Mal zu sagen, was sie zu tun hatten, und sie taten es. Sie arbeiteten genauso hart wie sie und Angie, oft bis zum Einbruch der Dunkelheit.
Paul van Leeson kam gerade mit einem Karton voller Einkäufe aus dem Baumarkt, als Carla daran vorbeiging.
»Carla, hallo!«, rief Paul, als er sie entdeckte. Er stellte den Karton auf seine Hüfte. »Wie geht es?«
Seitdem sie ins Cottage gezogen waren, hatte Paul die Angewohnheit entwickelt, ein- bis zweimal pro Woche
vorbeizukommen, um zu sehen, wie die Arbeit voranging. Doch sie hatte ihn schon einen Monat nicht mehr gesehen, denn er war mit einem wichtigen Projekt beschäftigt gewesen. Carla ärgerte sich über sich selbst, als sie bei seinem Anblick eine kleine, aber dennoch wahrnehmbare freudige Erregung verspürte. »Danke der Nachfrage. Dem
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