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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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Flecken auf dem Bauchpanzer. Ezra grinste mich an, als er in die Hocke ging, die Schildkröte auf den Boden setzte und sie Jeremy zeigte. Die Schildkröte wagte sich aus ihrem Panzer hervor und gewährte uns einen Blick auf ihre herrlich gelben Streifen auf Kopf, Hals, Schwanz und den Beinen. Ich wollte Ezras Hand nehmen, um ihm zu bedeuten, dass er ein lieber Mann war, doch dann fiel mir ein, dass die Schildkröte zweifellos ein Tummelplatz für Krankheitserreger war. »Jeremy sollte sie lieber nicht anfassen«, sagte ich.
    »Es ist bloß eine Schildkröte. Er kann sich ja die Hände waschen.«
    »Bitte, Mommy?«
    Ich kniete mich vor Jeremy hin. »Sie übertragen Salmonellen. Das sind fiese Bazillen, von denen du krank werden kannst.«
    Ezra starrte einen Moment mit angespanntem Gesichtsausdruck zu mir herab, bevor er sich zu Jeremy umdrehte. »Ich finde ein gutes Zuhause für sie«, sagte er und machte Anstalten zu gehen.
    »Mom wird das Mittagessen fertig haben«, sagte ich und erhob die Stimme, kämpfte gegen den Wind an.
    »Ich kümmere mich erst um den Baum.«
    »Kannst du das nicht später erledigen? Dein Essen wird sonst kalt.«

    »Verkackt!«, sagte er und wandte sich um. »Kannst du mich nicht einmal in Freiheit lassen?«
    »Verkackt!«, wiederholte Jeremy lachend. »Zicke, zacke, Hühnerkacke!«
    Ich warf Ezra einen finsteren Blick zu, der ihm zu verstehen geben sollte, dass er in Gegenwart unseres Sohnes nicht fluchen durfte, und nahm Jeremys Hand. »Also gut, das reicht jetzt. Wir gehen zurück ins Haus.«
    »Kann ich ein Bild malen?«
    »Natürlich.«
    »Ich mal dir ein Huhn, Mommy.«
    Vom Haus aus beobachtete ich Ezra, der die Äste des Pflaumenbaums zurückschnitt, und spürte, dass sich meine enttäuschte Wut allmählich verflüchtigte, sich wie ein Hustenbonbon auf der Zunge auflöste. Ezra war wunderschön. Sein langer Oberkörper und die langen Beine, die breiten Schultern, die sich unter dem Stoff seines schwarzen T-Shirts geschmeidig bewegten, während er den sterbenden Baum versorgte. Aus der Ferne hätte ich mir beinahe einreden können, dass sich nichts an ihm verändert hatte.

5.
    MEIN VATER BEUGTE sich auf seinem Stuhl am Küchentisch vor, um mit mir zusammen Ezra durchs Fenster zu beobachten. Seine Karten lagen für eine Patience vor ihm ausgebreitet da. Es war dasselbe Kartenspiel, das er schon seit fast fünfzig Jahren benutzte. Jeremy saß neben ihm und malte mit seinen Buntstiften. »Was zum Teufel tut Ezra da?«, fragte mein Vater.
    »Er schneidet den abgestorbenen Pflaumenbaum zurück.«
    »Wird er das Kalb heute noch schlachten oder nicht?«
    Ich hob die Arme und zuckte mit den Schultern. Was blieb mir auch anderes übrig?
    »Wir haben keine Zeit für so einen Unsinn. Gerade kam im Radio, dass der Wind das Feuer heute angefacht hat und nun nicht mehr nur zweihundert Morgen, sondern mehr als siebenhundert zerstört sind.« Er nickte in Richtung des aufgeblähten Windsacks, der über der Scheune hing. »Und wenn sich der Wind plötzlich dreht und das Feuer den Abhang hinuntertreibt? Das wäre für die Jahreszeit nicht ungewöhnlich. Das Feuer könnte uns binnen weniger Minuten erreichen.«
    »Das habe ich ihm gesagt.«
    Mein Vater sammelte die Karten ein und mischte sie, bevor er sie für ein weiteres Spiel auslegte. »Du musst ihm zeigen, wo’s langgeht.«

    »Das würde ihm nicht gefallen. Er denkt sowieso schon, dass ich ihn zu sehr kontrolliere.«
    »Spielt keine Rolle, was er denkt. Wenn du ihm weiterhin so freie Hand lässt, wird auf deiner Farm nichts vorankommen.«
    Ich sah zu Jeremy und warf dann meinem Vater einen warnenden Blick zu, der ihm bedeutete, in Anwesenheit unseres Sohnes kein weiteres Wort über Ezra zu verlieren. »Er ist ein guter Mann, Dad.«
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Es macht mich regelrecht krank, untätig zuzusehen, wie du dich die ganze Zeit mit ihm herumschlagen musst. Es zermürbt dich doch.«
    »Wo ist Mom?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
    »Rausgegangen, um ein paar Eier zu holen. Sie war so in ihr Schreiben vertieft, dass die Hamburger angebrannt sind. Also macht sie uns jetzt stattdessen Spiegeleier.«
    »Ihr Zustand verschlimmert sich, nicht wahr?«
    »Es sind die verdammten Schlaftabletten, die sie nimmt. Die machen sie müde und vergesslich. Aber deine Mutter war schon immer ein bisschen hibbelig.«
    »Nicht dermaßen hibbelig.«
    »Findest du?« Er griff nach seiner Geldbörse, die auf dem Tisch lag, und zog einen vergilbten

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