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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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Nacht spät ins Haus zurückgekommen, und alle Herdplatten glühten rot. Mom schlief, also habe ich vermutet, dass sie es nicht gewesen sein konnte.«
    »In letzter Zeit war der Herd oft an, als ich auf einen Sprung vorbeigeschaut habe. Ich werde mit Dr. Ellis reden müssen, damit er die Schlaftabletten absetzt oder ein anderes Mittel ausprobiert. Seit sie sie einnimmt, ist sie zunehmend vergesslich geworden.«
    »Wenn es nur an den Tabletten liegt, brauchen wir doch
gar nicht darüber nachzudenken, sie in ein Pflegeheim zu stecken.«
    Val schüttelte den Kopf. »Es sind nicht nur die Tabletten. Ihre Vergesslichkeit wurde schon schlimmer, noch bevor sie sie verschrieben bekommen hat. Sonderbar, nicht wahr? Sie kann sich bis ins kleinste Detail an Geschichten erinnern, die fünfzig Jahre zurückliegen, ruft mich aber innerhalb einer Stunde dreimal an, um genau dieselbe Frage zu stellen: wann ihr Termin beim Arzt ist oder wann ich sie abhole.«
    »Dann hängen wir neben der Tür eine Pinnwand auf und notieren dort ihre Termine. Das musste ich auch für Ezra tun.«
    »Aber ihr Verhalten macht oft keinen Sinn. Im vergangenen Frühling hat sie wie eine Verrückte Makkaroni gekauft, einen Karton nach dem anderen. Am Anfang habe ich mir nichts dabei gedacht, aber dann fand ich überall im Haus trockene Makkaroni, und zwar an den eigenartigsten Stellen. Ich sprach Mom darauf an, und sie tat so, als sei es auch für sie ein großes Geheimnis. Dann war ich einmal zum Abendessen drüben bei ihnen. Dad und ich haben die Nachrichten angeschaut, als ich zufällig zu Mom blickte. Sie verschlang gerade eine Handvoll ungekochter Makkaroni.«
    Ich konnte mir die Szene bildlich vorstellen: meine Mutter, die meinen Vater und Val aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, um zu sehen, ob die beiden vom Fernseher abgelenkt waren, während sie gierig an kleinen Nudelstückchen knabberte und trockene Makkaronihalbmonde leise klirrend zu Boden fielen. »Und warum hat sie es getan?«
    »Wie zum Teufel soll ich das wissen? Als ich sie darauf ansprach, stritt sie ab, die Nudeln gegessen zu haben. Sie sagte, sie habe den Karton fallen lassen und sei gerade dabei, die Makkaroni aufzuheben.«

    Val sah in ihren Taschenspiegel, während sie sich Lippenstift auftrug. »Am Samstag ist mir Jude auf dem Parkplatz vor dem Safeway über den Weg gelaufen. Er sagte, er hat noch eine Kiste von dir.«
    »Ich habe sie heute Morgen abgeholt.«
    »Also hast du ihn gesehen. Schon so schnell.« Sie steckte den Zeigefinger in den Mund und zog ihn aus den geschürzten Lippen wieder heraus. Diesen Trick hatte sie mir beigebracht, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war. Der überschüssige Lippenstift klebte nun am Finger und nicht an den Zähnen. Anschließend wischte sie sich mit einem Kleenex den Lippenstift vom Finger. »Wirst du ihn wiedersehen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Glaubst du, dass ein Wiedersehen mit ihm … gefährlich werden könnte?« Als ich keine Antwort gab, grinste sie. Ihre Vorderzähne waren abgeschliffen und hätten Kronen gebraucht, weil sie im Schlaf mit den Zähnen knirschte. In den Nächten, in denen Ezra im Krankenhaus und sie bei mir zu Besuch gewesen war, hatten wir uns mein Bett geteilt. Ich hatte wach gelegen, an die Decke gestarrt und dem Knirschen ihrer Zähne gelauscht: ein Geräusch, als bearbeitete sie ein großes Stück Kandiszucker.
    Da schob die Krankenschwester den Vorhang beiseite, rollte meinen Vater zurück zum Bett und half ihm hinein, während ich aufstand und meiner Mutter den Stuhl überließ. Die Krankenschwester schloss meinen Vater an einen Morphiumtropf an, und er sank sichtlich erleichtert in die Kissen.
    Auch Ezra kehrte zurück und stellte sich mit unserem Sohn neben mich. Er nickte Val zu. »Wir haben endlich eine Fuhre beisammen.«

    »Ihr könnt alles zu mir bringen, bevor ihr heute Abend nach Hause fahrt. Ich habe die Garage offen gelassen.«
    »Vergesst die Kisten nicht, die ihr in der Scheune eingelagert habt«, sagte mein Vater.
    »Die werden wir wohl als Letztes angehen«, sagte ich. Während unseres Umzugs nach Alberta im vergangenen Frühling hatten Ezra und ich einige Kartons auf der Farm meiner Eltern zurückgelassen, denn im U-Haul-Umzugswagen mussten wir für das Geschenk meiner Mutter Platz schaffen, das sie uns in letzter Minute gemacht hatte: der Tisch und die Stühle, die früher im Wohnzimmer meiner Großmutter gestanden hatten. Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, was sich in

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