Im Tal der Schmetterlinge
sie durch die Glasscheibe der Eingangstür gesehen. Während der Zeit, als Ezra im Krankenhaus lag, war ich derart von Trauer erfüllt gewesen, dass ich das Risiko einging, in flagranti ertappt zu werden. Ich half Ezra auf den Toilettensitz und bestieg ihn wie eine Striptease-Tänzerin. Unter der Dusche rieb ich ihn mit Shampoo ein, bis er kam. Sie sollten auf der Intensivstation besondere Räume für solche Zwecke bereitstellen, Räume, in denen sich die Sterbenden und ihre Geliebten einander hingeben können. Selbst Gefängnisse haben Zimmer, in denen Ehepaare intim werden dürfen. Der Liebesakt wird dort als Naturgewalt angesehen, der einen Mann und seine Frau zusammenbringt, die ansonsten von Stahl und Beton voneinander getrennt sind. Ezra und ich mussten tagtäglich der Möglichkeit ins Auge blicken, vom Tod auseinandergerissen zu werden, und dennoch gab man uns im Krankenhaus das Gefühl, uns für unsere Taten schämen zu müssen. Als ich auf seinem Bett saß und mich zu ihm hinunterneigte, um ihm einen Kuss zu geben, riss die jamaikanische Krankenschwester den Vorhang schwungvoll auf und rief: Nun kommt schon, Leute, sucht euch ein Hotelzimmer! , während sie den Arm meines Mannes nahm und nach einer Vene suchte.
Der Vorhang teilte sich, und Val rauschte herein. Sie beugte sich vor, um mich zu umarmen. »Also, was gibt’s Neues?«
»Noch nichts. Dad ist beim Röntgen. Mom hat ihn begleitet.«
Vals Haare waren nass. Sie färbte sie, um die grauen Strähnen zu überdecken, und zwar mit demselben goldblonden Ton, den sie auf ihren Fotos als junge Frau von Natur aus gehabt
hatte. Bei dem großen Altersunterschied zwischen uns war sie manchmal fälschlicherweise für meine Mutter und nicht für meine Schwester gehalten worden. Doch ohne Makeup hatte sie das Gesicht eines kleinen Mädchens, sommersprossig und verletzlich. Beinahe hätte ich sie nicht wiedererkannt, so selten traf ich sie ohne eine dicke Schicht Schminke. In diesen Augenblicken erinnerte sie mich an unseren Großonkel Valentine, nach dem sie benannt worden war. Besorgt legte sie eine Hand an die Wange. »Ich war gerade unter der Dusche, als du angerufen hast.«
»Du siehst gut aus.«
Sie durchwühlte ihre Tasche, gab dann etwas Oil of Olaz in ihre Handfläche, massierte sich die Creme ins Gesicht ein und verteilte sie auch auf ihrem Hals. »Wo ist Jeremy?«
»Ezra hat ihn in die Cafeteria mitgenommen.«
Ich schlang die Arme um den Körper, während ich Val beobachtete, wie sie etwas Grundierung auf einen sauberen Schwamm gab und dann Nase, Kinn und Stirn betupfte. »Du siehst müde aus«, sagte sie.
»Mir geht’s gut.« Auch wenn mir genau in diesem Moment auffiel, dass ich mich vor- und zurückwiegte.
»Es muss schrecklich hart für dich sein«, sagte sie. »Hier im Krankenhaus.«
»Es kommt alles wieder hoch und wirkt so real, als wäre ich immer noch in Chilliwack, als hätte ich es nie verlassen.«
»Es geschah auch etwa zur gleichen Zeit, nicht wahr?«, bemerkte Val.
Ich hielt inne, um mich an das Datum zu erinnern. In der überstürzten Hast, hierherzufahren und meinen Eltern zu helfen, war alles andere in den Hintergrund getreten. Doch diese Woche wäre es genau sechs Jahre her. Ezra am Küchentisch. Er klagte über ein Taubheitsgefühl in der rechten Gesichtshälfte
und redete auf einmal undeutlich. Ich bat ihn, einen Satz nachzusprechen, doch es gelang ihm nicht. Dann stürzte er zu Boden.
»Nimm dich vor diesen Jahrestagen in Acht«, sagte Val. »Noch Jahre später tauchen sie wie aus dem Nichts auf und treffen dich mitten ins Herz, selbst wenn du glaubst, du seist über die Sache hinweg.« Sie trug Eyeliner auf und tuschte sich die Wimpern, während sie mit leicht zugekniffenen Augen in ihren Taschenspiegel starrte. »Wie ging es Mom, als du Dad ins Krankenhaus gefahren hast?«
»Sie war aufgewühlt. Panisch. Wie man das erwarten würde.«
»Wir sollten mal darüber nachdenken, sie nach Dads Tod in einer Art betreutes Wohnen unterzubringen.«
»Das hat doch Zeit.«
»Letzte Woche war bei ihr das Bügeleisen noch eingesteckt und hat im Korb mit der frischen Wäsche ihr Nachthemd angesengt. Daraus wäre ein Hausbrand geworden, wenn ich es nicht bemerkt hätte. Als ich sie darauf hinwies, gab sie mir die Schuld und behauptete, ich müsse es dort vergessen haben. Sie glaubt das wirklich. Wahrscheinlich hat sie keinerlei Erinnerung, das Bügeleisen angeschaltet oder in den Wäschekorb gelegt zu haben.«
»Ich bin gestern
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