Im Tal der Schmetterlinge
sein«, sagte sie und berührte meine Wange. »Lass seine Hilfe zu.«
»Ich werde mich bemühen.« Aber ich wollte nicht zurück in das Bett, das ich mit ihm teilte. Noch nicht. Ich strich ihr über die Stirn, über das dichte graue Haar. »Du solltest jetzt schlafen.«
Ich klopfte leise an die Tür meines Vaters und öffnete sie. Auf dem Krankenhausbett lag er im Schlafanzug und träumte Morphiumträume. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht war von mir abgewandt - er distanzierte sich bereits von uns -, und dennoch konnte ich sein runzliges Gesicht im Spiegel sehen, der auf der Kommode stand und von Familienfotos umgeben war, die Val dort gruppiert hatte: Val und ich, aufgenommen, als ich zwei war; das letzte Bild meiner Großmutter, die mit ihrer Handtasche die Straßen von Kamloops entlangspazierte; Valentine im Garten; Onkel Dan, dessen Gesicht hinter einer Gasmaske verborgen war, während des Zweiten Weltkriegs; mein eigenes Hochzeitsfoto und das meiner Eltern, das offensichtlich jemand aus der Familie oder ein Nachbar, jedoch kein professioneller Fotograf geschossen hatte. Auf dem Bild war mein Vater dünn und jungenhaft, mit dickem rotem Haar, nicht der glatzköpfige, untersetzte Mann, den ich schon mein ganzes Leben lang kannte, nicht der zerbrechliche alte Mann in dem Bett vor mir. Auf dem Foto hielt er den Ellbogen meiner Mutter, als wollte er sie führen. Meine Mutter trug ein einfaches blumengemustertes Kleid und sah nicht in die Kamera, sondern zu Boden, auf den winzigen Blumenstrauß mit gelben Veilchen in ihrer Hand.
»Wie wäre es, wenn ich eine Schicht übernehme?«, bot ich meiner Schwester an.
Val gähnte. »Mir geht’s gut.«
»Du brauchst etwas Schlaf, und ich hatte noch keine ruhige Minute allein mit ihm.«
»Na schön.« Sie stand auf. »Er hat nicht gut geschlafen.« Sie beugte sich zu meinem Vater hinab und erhob die Stimme. »Kat wird jetzt ein wenig bei dir sitzen, in Ordnung?«
»Hm? Kat?« Er sah zu mir hoch und wirkte einen Moment lang verwirrt. »Oh, ja.«
Val küsste ihn auf die Stirn und tätschelte ihm den Arm, bevor sie das Zimmer verließ.
Der Atem meines Vaters ging flach und hektisch. »Stört dich der Rauch sehr?«, fragte ich.
»Es ist schon lustig«, sagte er. »Ich bin mit vollgepacktem Rucksack in den Bergen dort oben gewandert und kein einziges Mal außer Atem gekommen.«
Wir starrten eine Weile aus dem Fenster und betrachteten das Feuer, das in der Nacht auf den Hügeln wütete. »Das Feuer vergönnt mir nicht einmal den Luxus, ein bisschen zu warten«, sagte mein Vater. »Wenn ich zu Hause sterben möchte, sollte ich mich wohl beeilen.«
Das Feuer war nah. Während des ganzen Nachmittags und Abends hatte es glühende Asche herabgeweht, die überall im Tal Schwelbrände entzündete. Ich selbst hatte am Abend ein Feuer in unserem Sägemehl gelöscht, es mit Wasser aus dem Gartenschlauch ertränkt.
»Du wirst noch ein wenig unter uns weilen«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte heute Nachmittag nicht den ganzen Weg vom Krankenhaus hierher geschlafen. Ich wollte während der Autofahrt so viel wie möglich in mich aufsaugen. Vermutlich werde ich diese Straßen nie wieder entlangfahren. Jedenfalls nicht lebend.«
Ich gab keine Antwort. Seine Stimme war ein dünnes Raunen, und seine Gesichtshaut von einer sonderbaren Transparenz, als wollte er nicht einfach sterben, sondern immer durchsichtiger werden, bis er vollends verschwand.
Ich zeigte auf das Hochzeitsfoto meiner Eltern. »Mom hat mir heute erzählt, dass deine Romanze mit ihr an dem Tag begann, als der japanische Brandballon in die Luft gesprengt wurde, als Grandpa Mom und Grandma mit einem Gewehr bedroht hat.«
Er drehte sich um und sah mich an. »Sie hat dir das erzählt?«
Ich nickte.
»Puh. Nun, ich denke, sie hat mich tatsächlich damals in einem völlig neuen Licht gesehen. Auf einmal war ich ein Held, und von dem Tag an brachte sie kleine Geschenke zur Hütte. Die eigenartigsten Dinge: ein Stück roter Samt, eine Schnur mit Glöckchen, kleine Veilchensträuße.«
Ich wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war, und fragte dann: »War das auch der Beginn von etwas zwischen Onkel Valentine und Grandma?«
»Nach dieser Sache waren sie besser befreundet, wenn du das meinst. Valentine besuchte sie fast jeden Tag, während der Monate, in denen John im Krankenhaus lag, und ging Maud bei den schwierigen Arbeiten und im Garten zur Hand. Hat ihr auf jede
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