Im Tal der Schmetterlinge
dem hatte, wozu ich fähig bin.«
Im Hof deutete Ezra aufgeregt auf Judes Grundstück, damit Jeremy dorthin blickte, und ich suchte ebenfalls die Felder mit den Augen ab. »Rehe«, sagte ich und zeigte sie meiner Mutter, dankbar für die Ablenkung. Fünf Rehe und ein junger Hirsch, die mit zuckenden Schwänzen im Luzernenfeld standen.
Wir sahen ihnen eine Weile zu. »Erinnerst du dich an den Abend, als mein Vater es nicht übers Herz brachte, die Rehe zu erschießen?«, fragte sie mich, als sei ich damals tatsächlich dabei gewesen. Und das war ich auch, viele Male, wann immer sie mir diese Geschichte erzählte. Ich folgte ihr erneut hinaus aufs Feld, wo die Weizenhalme sich silbern gegen den Mond abzeichneten, und wartete mit ihr hinter meinem Großvater, während er das Gewehr anlegte und beobachtete, wie drei Rehe und ein Hirsch in Sicht kamen. Wir warteten, während er wartete, und atmeten aus, als er seufzend die Waffe sinken ließ. Die Tiere grasten eine Zeitlang auf dem Feld, und dann, aufgeschreckt durch ein Rascheln im Gras, sprangen sie zurück in den Wald. Mit hängenden Schultern drehte sich mein Großvater um, und wir folgten ihm zurück ins Haus, lauschten dem Rasseln seiner Schlüssel in der Hosentasche und dem Knirschen der Gerstenstoppeln unter seinen Füßen. Ich konnte das Muster erkennen, das seine Schuhsohlen hinterließen, derart hell leuchtete der
Mond. Mein Vater setzte sich neben den Ofen, um sich die Stiefel abzustreifen, und meine Mutter nahm sie mit nach draußen, schlug sie gegen die Hauswand und befreite sie vom Dreck. Dann holte sie den Besen und fegte die Fußabdrücke vom Küchenboden.
14.
ICH LEGTE DEN Kopf an Ezras Schulter und atmete seinen Duft ein: Sägemehl und Sandelholz, ein Hauch von Kaffee. Ezra zog mich im Schlaf fest an sich, wie er das schon immer getan hatte, und ich glitt mit der Hand an seinem Bauch hinab, um seinen Penis zu berühren, der schlaff auf seinem Oberschenkel ruhte. Früher hätte er reagiert, egal wie tief Ezra schlief. Aber nicht heute. Seufzend drehte ich mich weg und rollte mich zusammen, da umarmte mich Ezra von hinten. Er war also doch wach. »Es liegt nicht an dir«, sagte er. »Kat, schau mich an.« Als ich mich weigerte, stützte er sich auf einen Ellbogen und drehte mein Gesicht zu sich. »Du bist wunderschön. Es liegt nicht an dir. Ich bin müde. Ich bin andauernd müde. Und ich bin nicht sicher, wer ich im Moment für dich bin. Ich komme mir völlig nutzlos vor.«
Ich setzte mich auf und zog einen Morgenmantel über. »Ich steh nur kurz auf.«
»Kat, warte!«
Als ich aus dem Zimmer ging, hörte ich, wie er von seiner Seite des Bettes glitt.
Meine Mutter stand neben dem Herd. Die Lampen im Haus waren gelöscht, aber ihre Gestalt wurde vom roten Schein der Herdplatten erleuchtet. Sie waren alle eingeschaltet, und meine
Mutter hielt ein Geschirrtuch darüber. Ein Teil des Tuchs berührte eine Platte, war schwarz und angekokelt. Harrison und das Kätzchen saßen zu Moms Füßen. Die beiden Katzen sahen zu mir auf und miauten, als ich näher kam.
»Was zum Teufel tust du da?« Ich packte das Geschirrtuch und schleuderte es in die Spüle, wo es mit einem Zischen zwischen dem eingeweichten Geschirr ins Wasser sank. Doch meine Mutter stand immer noch wie festgefroren am Ofen und starrte auf die Herdplatten. Ich schaltete alle aus und nahm meine Mutter am Arm. »Mom?«, sagte ich. Ihre Augen waren weit aufgerissen, aber sie schien nichts zu sehen. Ich schüttelte sie leicht. »Mom!«
Dann erkannte sie mich. »Oh, hallo, mein Liebes.«
»Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Ja, alles okay. Bin ein bisschen müde.«
»Ich denke, du bist schlafgewandelt.«
»Schlafgewandelt?« Sie blickte sich in der dunklen Küche um und bemerkte Ezra, der wie ein Schatten hinter mir stand. »Oh!«
»Kann ich euch etwas bringen?«, wollte Ezra wissen.
»Nein, danke«, erwiderte ich. »Ich kümmere mich um sie.«
»Ich könnte euch eine heiße Milch machen.«
»Uns geht’s gut.«
Er wartete einen Moment, ein dunkler Umriss in der Küche, und ging dann zurück ins Schlafzimmer. Meine Mutter bückte sich, um das Kätzchen hochzuheben.
»Ich sollte dich besser zu Bett bringen«, sagte ich und führte sie an der Hand ins Wohnzimmer.
Als sich meine Mutter wieder hingelegt hatte, blickte sie mich aus ihren unheimlichen Augen an. Ohne ihre Brille suchte sie mein Gesicht ab, konnte mich jedoch nur verschwommen
sehen. »Ezra wollte dir helfen, wollte bei dir
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