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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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zur ersten Ausgabe des Observer auf Mikrofilm gespeichert.«
    »Das würdest du tun?« Mein Vater hielt sich überrascht die Hand vor den Mund. »Es ist nicht nötig, dass du zur Bibliothek gehst. Deine Großmutter hat all diese Geschichten aufgezeichnet. Sie schrieb sie in ein Notizbuch, auf dessen Vorderseite eine Valentinstagskarte klebt. Ich glaube, das Buch liegt in dem Schrankkoffer, den sie als junge Braut von drüben mitgebracht hat. Ihr habt ihn doch hoffentlich vom Speicher geholt.«
    »Ich weiß nicht, ob Val daran gedacht hat.«
    »Großer Gott, ihr müsst ihn mitnehmen! Eure Mutter würde es nicht ertragen, wenn er in Rauch und Flammen aufginge.«
    »Was war denn nun damals?«
    Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Du kannst es ruhig lesen.«

    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe nicht das Recht, dich mit der alten Geschichte zu nerven, besonders heute.«
    »Ist schon in Ordnung. Wir hätten es dir vor langer Zeit erzählen sollen.« Dann ergriff er meine Hand und setzte sich ein wenig auf, so gut es ihm eben gelang. »Hör mir zu, ich muss dir etwas sagen. Und ich denke, ich sollte es lieber gleich tun.« Ich wartete, bis sein Husten verklungen und er wieder zu Atem gekommen war. »Die Dinge stehen nicht so gut zwischen dir und Ezra, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Er liebt dich aber.«
    Ich nickte.
    »Es ist schrecklich, eine Frau zu lieben, ohne wirklich zu ihr durchzudringen, sie nicht dazu bewegen zu können, dich auf dieselbe Art zurückzulieben. Ich glaube nicht, dass ich je zu deiner Mutter durchgedrungen bin, nicht so, wie ich das gewollt hätte.« Er drehte sich zu der Kommode, zum Hochzeitsfoto von ihm und meiner Mutter, und betrachtete es mit starrem Blick, während er fortfuhr: »Vorhin habe ich geträumt, ich arbeite an Eisenbahnschienen, draußen in der unberührten, schneebedeckten Natur. Kein einziger Baum war zu sehen - nur ein kleiner Busch, der aus dem Schnee herausragte. Wir waren zu zweit, ich und ein großer Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war, mit einem riesigen schwarzen Hut, der mich an den deines Großvaters John erinnert hat. Aber ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, also weiß ich nicht, ob er es war. Wir hatten jeweils einen kleinen flachen Spaten und mussten den Sand wegschaufeln, den die Arbeitslok zwischen die Gleise geschüttet hatte. Der Zug war schon längst fort, und es wurde dunkel, als wir mit der Arbeit fertig waren. Um uns herum gab es nichts außer Schnee und dem Busch. Der große Mann verschwand in der Nacht, und ich
blieb allein zurück. Weit drüben konnte ich ein Haus sehen, dessen Dach völlig mit Schnee bedeckt war, in dem kein einziges Licht brannte. Es war das unfertige Haus auf Valentines Grundstück. Ich wusste, dass deine Mutter dort war, und eilte darauf zu. Es gab keine Straßen oder Zäune. Der Schnee ging mir bis zur Hüfte, war bitterkalt, und das Gehen bereitete mir schreckliche Mühe. Die ganze Zeit über dachte ich, Beth würde mir die Tür öffnen und mich hineinlassen, wenn ich nur endlich dort wäre. Doch so sehr ich mich auch beeilte, kam ich dem Haus keinen Schritt näher.«
    Er sah mich eindringlich an. »Ich weiß, du gibst dir verdammt große Mühe mit Ezra, und ich liebe dich dafür. Aber ich hasse es, dass du immer müde und unglücklich bist. Es hilft Ezra nicht, wenn du ihn nicht so lieben kannst, wie er dich liebt.«
    Er zeigte mit dem Finger auf die Kommode, und ich beugte mich übers Bett, um ihm das Foto zu reichen, das er wollte. Doch er nahm es nicht entgegen. Es war mein eigenes Hochzeitsbild, ein Foto, das Val von Ezra und mir geschossen hatte, als wir am Eingang des Gemeindesaals standen. Sonderbar, dass eine Kamera Wahrheiten einfängt, die die Menschen auf dem Foto weder einander und nicht einmal sich selbst eingestehen wollen. Zwischen Ezra und mir gab es keine Nähe. Er streckte die Hand nach mir aus, um mich zu umarmen, und lächelte in die Kamera, doch ich hatte mich leicht von ihm abgewandt, ging auf Abstand, blickte weg.
    »Du warst immer noch in Jude verliebt, als du Ezra geheiratet hast, nicht wahr?«
    Ich sah zu meinem Vater - in seine außergewöhnlichen aquamarinblauen Augen - und dann wieder zurück auf das Bild in meinen Händen. »Ja«, gestand ich.
    Er klopfte auf das Glas des Bilderrahmens. »Erinnerst du
dich, was ich dir bei deiner Hochzeit im Festsaal gesagt habe, kurz bevor ich dich zum Traualtar führte?«
    Ich nickte. Mein Vater schwieg, schloss die Augen und schien in den Schlaf

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