Im Tal der Schmetterlinge
weiß nicht, was ich davon halten soll. Doch irgendetwas ist an jenem Abend zwischen Onkel Valentine und Grandma in Gang gesetzt worden, das noch die nächsten zwanzig Jahre andauerte. Das Notizbuch endet mit den Artikeln über Grandpas Verschwinden 1965.«
Ich blätterte vor, bis zum Schluss des Notizbuchs, um Val die Titelseite des Kamloops Sentinel aus dem Jahr 1965 zu zeigen. »Das ist derselbe Artikel, den ich in Grandmas Geldbörse gefunden habe. Es ist nur ein winziger Bericht, aber immerhin hat er es auf die Titelseite geschafft.«
»Offenbar war Grandpa damals erst seit einem Tag verschwunden«,
sagte Val. »Nichts im Vergleich hierzu.« Sie tippte auf den Leitartikel der Woche:
»KANADA IM KRIEGSZUSTAND?« ANRUFER WENDEN SICH WEGEN GRELLER BLITZE AM HIMMEL AN DIE RCMP
Erschrockene Frauen riefen gestern Nacht in heller Aufregung auf der Polizeiwache in Promise an, nachdem ein greller Blitz und eine laute Explosion den Nachthimmel erschüttert hatten, und wollten wissen, ob in Kanada Krieg ausgebrochen sei. RCMP Corporal Ted Robinson, zuständig für die Stadt Promise, erklärte, kurz nach dem Blitz und dem Knall mehrere Anrufe von Frauen erhalten zu haben, die glaubten, das Land befände sich im Kriegszustand. Unmittelbar nach dem Blitz gab es einen ohrenbetäubenden Lärm, und sämtliche Gebäude erbebten. Die Einwohner von Promise strömten augenblicklich auf die Straßen.
Währenddessen trafen aus dem gesamten umliegenden Gebiet Berichte über ein grell aufblitzendes Objekt ein, das sich von Süden nach Norden bewegte und die Landschaft taghell erleuchtete. Anschließend soll es laute Explosionen gegeben haben.
»In jener Zeit hieß es in vielen Zeitungsartikeln, womöglich könnte ein US-amerikanischer Spionagesatellit abgestürzt sein. Doch es war ein Meteor. Wissenschaftler, die später mit Magneten den Boden absuchten, fanden winzige Stücke davon am Ufer des Shuswap Lake. Und dann stieß ein Jäger in dem Gebiet, in dem er eingeschlagen war, nämlich oben in
den Bergen, zufällig auf einen großen Meteoritenbrocken.« Meine Schwester nickte in Richtung der Ptarmigan Hills. »Dieser Meteor war dafür verantwortlich, dass Grandpa in jener Nacht verschwand. Bei seinem Einschlag leuchtete der Himmel auf, und das gesamte Haus erzitterte. Grandpa dachte, man würde uns bombardieren.«
»Das haben wohl viele Menschen gedacht«, sagte ich. »Wahrscheinlich waren die Kriegserlebnisse noch in frischer Erinnerung.« Ich sah zu Val auf. »Soweit ich weiß, hat nie einer von euch je darüber gesprochen.«
»Unter die Geschichte mit dem Meteor und Grandpas Verschwinden wurde ein Schlussstrich gezogen. Mom wollte nicht, dass wir darüber reden.« Sie zeigte mit dem Kopf zu den Bergen. »Er ist dort hinaufgegangen, um ihn zu finden. Oder besser gesagt, er ist dort hinaufgegangen, um den Feind zu finden. In seiner Wahnvorstellung waren die Berge die Front, und er wollte den Feind mit Stumpf und Stiel ausrotten.«
Ich blickte zu den Hängen, auf denen die Feuer wüteten, während Val das Notizbuch durchblätterte.
»Hier ist der Artikel, in dem es heißt, dass die Suche nach Grandpa eingestellt wurde«, sagte sie und reichte ihn mir.
MANN FÜR TOT ERKLÄRT, NACHDEM ER SEINEN SCHWIEGERSOHN NIEDERSCHOSS
John Weeks, ein Einwohner Turtle Valleys, wurde für tot erklärt, nachdem man bei einer wochenlangen, intensiven Suche im gesamten Gebiet um die Ptarmigan Hills keine Spur von ihm gefunden hatte. Weeks war das Ziel einer RCMP-Untersuchung, da er seinen Schwiegersohn, Gustave Svensson, angeschossen
und am Arm verletzt hatte. Svensson liegt im Moment zur Genesung im Kamloops General Hospital, sein Zustand ist stabil.
Zur Zeit der Schießerei waren Gustave Svensson und sein Onkel, der wohlbekannte Holzfäller Valentine Svensson, in den Ptarmigan Hills auf der Suche nach Weeks. Weeks wurde bereits am 1. April als vermisst gemeldet, nachdem der Meteor den Nachthimmel erleuchtet hatte. Anscheinend hatte Weeks, der sich schon seit längerer Zeit in psychiatrischer Behandlung befand, das Aufblitzen des Meteors gesehen und in seiner geistigen Verwirrung fälschlicherweise angenommen, er und seine Familie würden angegriffen. Seine Familienmitglieder erklärten, er sei fest entschlossen gewesen, den »Feind« zu finden, der sich seiner Meinung nach in den Ptarmigan Hills versteckt hielt. Für die Witterung in den Bergen unzureichend gekleidet und ohne jegliche Vorräte machte er sich mit seinem Gewehr auf den Weg.
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