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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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dürfte.«
    »Einen Hammer?«
    »Um die Dielenbretter aufzustemmen.«
    »Ich glaube nicht, dass du dafür einen brauchst. Die Kühe haben das Haus verwüstet.« Doch er zog einen Hammer aus dem Werkzeugkasten unter der Werkbank hervor. »Was suchst du?«
    »Eine MacDonald’s-Tabakdose. In meiner Kindheit hatte ich sie zufällig mal entdeckt und hoffe, dass in ihr Briefe versteckt sind.«
    »Lass mich raten: Du vermutest, sie sind von deiner Großmutter an Valentine?«

    Als ich lächelte, streckte er die Hand nach meinem Sohn aus. »Also gut, Jeremy. Lass uns forschen gehen. Wir sind Archäologen bei einer Ausgrabung.«
    Jeremy ergriff Judes Hand, und gemeinsam marschierten sie in Richtung der Tür. »Ich bin ein Archäologe, Mommy!«
    Ein riesiges Kürbisfeld umgab das kleine Stück verwildertes Weideland, das Jude um das alte Haus hatte wachsen lassen. Die großen gelben Blüten waren noch nicht abgefallen, aber die grünen Kürbisse färbten sich bereits leicht orange. Valentine hatte die Kürbisse vor vielen Jahrzehnten gepflanzt, in einem abgesteckten Garten hinter seiner Hütte, doch nach seinem Tod hatten sich die Kürbisse unkontrolliert vermehrt und krochen nun über die nutzlosen rostigen Maschinenteile auf dem Farmgelände und schlängelten sich um den Rahmen meines alten Fahrrads, das gegen eine Scheune lehnte. Ich hatte das Fahrrad dort stehen gelassen, kurz bevor ich zu meinem Geburtstag vor über dreißig Jahren ein neues geschenkt bekommen hatte, und das Vorder- und Hinterrad waren immer noch mit einem einzigen großen Schloss zusammengesperrt. Als kleines Mädchen hatte ich die Enden der Lenkstange abgeleckt, die vom Schweiß meiner Hände erst salzig geschmeckt hatten, dann metallisch und kalt.
    Onkel Valentines Hütte lag zu meiner Rechten, eingebettet in Weideland, das an einen kleinen Bach grenzte. Das Gebäude wurde von einigen Pfählen gestützt, die es vor dem Einsturz bewahrten. Die Verfugung zwischen den Holzstämmen war zum größten Teil abgebröckelt, so dass die Hütte bei Sonnenuntergang mit orangerotem Licht durchflutet wurde, als loderte in ihrem Innern ein Feuer. Während meiner Kindheit hatten meine Eltern und ich viele Sonntagnachmittage bei Valentine verbracht, Peek-Frean-Kekse aus der Dose gegessen und »gekochten« Kaffee getrunken, wie er es zu nennen
pflegte, wenn er den Kaffeesatz einfach in der Kanne aufkochte: ein zähes, dickflüssiges Gebräu, das so stark war, dass wir es durch einen Zuckerwürfel zwischen den Zähnen schlürften.
    Es gab nur zwei Zimmer in der Hütte, die ohne eine Tür miteinander verbunden waren. Im hinteren Raum war das Bett immer ordentlich gewesen, und die wenigen Hemden und Hosen, die Valentine besaß, hatten an Nägeln gehangen, die in die Holzbalken gehämmert waren. Auf den offenen Regalen über der Spüle hatte alles gestanden, was er zum Leben brauchte: Kaffee und Mehl, Zucker und Dosenmilch, getrocknete Bohnen und Erbsen, Nudeln sowie selbst Eingemachtes: Rüben, Pickles und eingelegte Pflaumen und Pfirsiche, Erdbeer-, Himbeer-, Felsenbirnen- und Preiselbeermarmelade. In der Hütte roch es nach verbranntem Holz, mit dem er den Ofen befeuerte, und MacDonald’s-Pfeifentabak - mein Großonkel hielt nur sehr selten keine Pfeife in der Hand -, Dosenmilch und seinem starken Kaffee. Er hatte weder Elektrizität noch eine Toilette im Haus installieren wollen, sondern sein Wasser lieber in einem Eimer in seine Hütte geschleppt, wo er sich bis spät in die Siebzigerjahre in einem Emaillewaschbecken gewaschen und draußen ein von Fliederbüschen verdecktes Plumpsklo benutzt hatte. Er war mir damals uralt vorgekommen: ein Mann aus einer längst vergangenen Zeit, der Zeit meiner Großmutter.
    Neben Valentines Hütte wirkte das unfertige Haus so verwittert, dass es fast schon wie ein Teil der Landschaft aussah, als wäre es aus der Erde selbst herausgewachsen. Valentine hatte nie darin gelebt und auch sonst niemand. Die Fenster waren vor langer Zeit vom Hagel zerstört oder mutwillig eingeworfen worden. Judes große getigerte Katze saß auf einem Fensterbrett und verschmolz regelrecht mit den Farben der
Holzwand. Hätte sie nicht geschnurrt, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hätte ich sie überhaupt nicht bemerkt. Die Bonica-Rosen, die Valentine vor Jahrzehnten hier gepflanzt hatte, hatten sich ausgebreitet, waren verwildert und unansehnlich, trugen jedoch immer noch süßlich duftende rote Blüten bis weit in den Herbst hinein.
    Im Innern

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