Im Tal der Schmetterlinge
des Hauses bedeckten Glasscherben, zerrissene Kleidung und Bierflaschen den unbehandelten Holzboden. Ein Wespennest hing in einer Ecke des Flurs. Darunter waren mit schwarzer Farbe Graffiti an die Wand gesprüht: Tod den Kühen und Hier wohne ich und Du solltest mich besser nicht stören . Die Treppe ins Obergeschoss fehlte vollständig. Jude hatte recht. Die Kühe hatten dem Fußboden derart zugesetzt, dass wir tatsächlich keinen Hammer brauchten. An vielen Stellen hatten die Tiere einfach die Dielenbretter zertrampelt, und es klafften große Löcher, die die Querbalken freilegten.
»Jeremy sollte lieber nicht hier rein.«
»Ich will aber mitkommen!«
»Wir passen auf ihn auf«, sagte Jude. »Ihm passiert schon nichts.«
Ich nahm Jeremy bei der Hand und führte ihn über die Löcher in den Dielen in den Raum, der das Wohnzimmer hätte werden sollen. Der Fußboden dort war besser erhalten. Eine verschimmelte Matratze lag unter dem Fenster. An der Wand gegenüber stand in herabgelaufenen roten Buchstaben geschrieben: Schade, dass du die Schlüssel gefunden hast .
Ich zeigte auf die Matratze. »Wie ich sehe, hattest du Besuch.«
»Ja, ja, hin und wieder musste ich ein paar Jugendliche aus der Umgebung verscheuchen. Ein leer stehendes Haus scheint sie magisch anzuziehen.« Wir drehten uns und betrachteten die Wände, die Graffiti, das Glas, das unter unseren Füßen
knirschte. An einer Wand hieß es, Gefahr! , an einer anderen, Ein unaufhaltsamer Prozess des Verfalls , und weiter unten, über einer Reihe von Astlöchern, stand Ich kann dich sehen! geschrieben.
Wir wanderten durch das Haus zu dem Zimmer hinten, das die Küche geworden wäre, und dann zu dem kleinen Raum neben dem Schlafzimmer im Erdgeschoss, in dem mein Vater gehaust hatte, einer Kammer, die das Bad hätte werden sollen. Dort roch es leicht nach Stinktier. Jemand hatte mit Farbe einen »Spiegel« an die Wand gesprüht, mit dem Gesicht einer Frau in einem Rahmen. Darüber stand geschrieben: Wie viel Zeit hast du hier mit Warten vergeudet?
»Ich hoffe, keiner von denen hat die Dose gefunden.«
Ich führte Jeremy zurück ins Wohnzimmer. Jude folgte uns. »Also, wo ist sie?«, fragte er.
Ich versuchte mir das Haus vorzustellen, wie ich es aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. Ein Dielenboden. Eine Murmel, die unter einem Balken versteckt war. Ein Schatten an der Wand. Zusammenhanglose Gedächtnisfetzen. Meine zerstückelte Kindheit. Meine Zeit mit Jude hier würde irgendwann auf dieselbe Art verloren gehen. Mein Erinnerungsvermögen an diesen Moment - der so unvergesslich wirkte - würde sich wie dieses alte Gebäude wandeln, abbröckeln und schließlich in sich zusammenfallen. In zehn oder zwanzig Jahren würde ich mich allein an das Dielenbrett unter meinen Füßen und den Nagel in der Wand erinnern, nicht jedoch an das gesamte Bauwerk, wie es an diesem heißen Sommertag vor mir stand.
Ich kniete mich neben Jeremy, um die Ritzen zwischen den Dielenbrettern mit den Augen eines Kindes zu betrachten, den Staub, die glitzernden Glassplitter. Dann fand ich den Punkt, nach dem ich gesucht hatte. Ich packte das lockere
Dielenbrett und riss es hoch, legte die darunterliegenden Tragebalken frei.
»Da ist sie!«, rief Jude. Die MacDonald’s-Tabakdose. Die Farbe war zum Teil abgeblättert, das Blech am Deckel stark verrostet. Als ich sie nicht öffnen konnte, schlug Jude mit dem Hammer zu und brach sie mit Gewalt auf. Im Innern der Dose befanden sich tatsächlich Briefe. Einige der Umschläge und die Ecken der Briefe waren mit Wasserflecken übersät, doch die meisten befanden sich in einem erstaunlich guten Zustand.
»Das sind die Briefe meiner Großmutter. Es ist ihre Handschrift!« Ich öffnete einen nach dem anderen. »Es sind alles Briefe an Valentine. Ein Großteil sind einfach nur Einladungen zum Essen oder Dankeskarten, weil er ihr während der Zeiten, in denen mein Großvater im Krankenhaus war, bei irgendwelchen Arbeiten geholfen hat. Hier! Sie dankt ihm für den Bau des Gewächshauses. Habe ich dir erzählt, dass meine Großmutter in diesem Gewächshaus gestorben ist? Mein Vater hat sie dort gefunden. Ein Herzinfarkt.«
Er nickte. »Das hast du mir erzählt. Stört es dich, wenn ich ein paar lese?«
Ich reichte ihm einen Packen, und wir begannen zu stöbern.
»Der hier ist sonderbar«, sagte er. »Sie schreibt: Was deinen letzten Brief angeht, so gab es keinen Grund, mich daran zu erinnern. Ich denke täglich daran, stündlich. Es ist
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