Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
die Flucht ergriffen, aber das ging natürlich nicht, und so stöckelte ich, so hoheitsvoll ich konnte, neben Matthew her auf die Trauergemeinde zu. Ganz schwach hegte ich die Hoffnung, es möge sich um eine andere Begräbnisfeierlichkeit handeln; vielleicht war ja vor uns schon jemand dran gewesen, und die Gruppe hatte sich noch nicht aufgelöst, oder wir hatten uns in Zeit und Ort geirrt, aber bei unserem Näherkommen erstarben die Gespräche, alle Köpfe drehten sich zu uns um, und die Neugier und Kälte, die uns empfingen, machten mir sofort klar, dass ich nicht auf ein Wunder zu hoffen brauchte: Die gehörten ganz klar zu uns. Und wir zu ihnen.
Eine knapp fünfzigjährige Frau löste sich aus der Gruppe und trat uns entgegen. Sie trug ein dem Anlass entsprechendes perfektes schwarzes Kostüm, war gut frisiert und geschminkt und verzog den Mund nicht einmal zu der Andeutung eines Lächelns.
»Ach, Matthew«, sagte sie, »wir dachten schon, du kommst nicht.«
»Hallo, Susan«, erwiderte Matthew. »Tut mir leid, dass wir so knapp dran sind. Aber es ist doch eine recht weite Strecke von Swansea hierher.«
Susan nickte in einer Art, die so aussah, als wolle sie eigentlich sagen: Dann fährt man eben früher los! Sie wandte sich mir zu, taxierte kurz meine unmögliche Garderobe und zog dabei ganz leicht die Augenbrauen hoch.
»Susan, das ist Jenna Robinson«, stellte Matthew uns vor. »Jenna, das ist Susan Collins. Sie ist eine Nichte von Lauren.«
»Eine Cousine von Vanessa«, fügte Susan überflüssigerweise hinzu, und es war klar, dass es ihr nur darum ging, diesen Namen ins Spiel zu bringen und mich daran zu erinnern, dass es eine Mrs. Willard gab – auch wenn sie derzeit verschwunden war.
»Freut mich«, sagte ich und hatte den Eindruck, damit irgendwie das Falsche gesagt zu haben. Aber wahrscheinlich konnte ich an diesem Tag, in dieser Umgebung sowieso nur alles falsch machen. Es war schon falsch, dass ich mit Matthew hierhergekommen war.
Wir begrüßten nun auch die übrigen Gäste, wobei sich herausstellte, dass auch Matthew die wenigsten von ihnen kannte oder sich ihrer höchstens dunkel im Zusammenhang mit lang zurückliegenden kurzen Begegnungen bei irgendwelchen familiären Anlässen entsann. Susan versah ihre Aufgabe jedoch mit großer Gewandtheit, fügte bei jedem Gast hinzu, in welchem Verhältnis er zu der Verstorbenen stand. Dabei wurde deutlich, dass sich auch der entfernteste Cousin, jede um fünf Ecken verwandte Tante aufgemacht hatte, der guten Lauren French das letzte Geleit zu geben, was mehr als seltsam war, wenn man bedachte, dass sich laut Matthew keiner von ihnen je bei der noch lebenden alten Frau im Pflegeheim hatte blicken lassen.
»Ich hatte keine Ahnung«, flüsterte mir Matthew zu, als wir die Kapelle betraten, vor deren Altar der blumengeschmückte dunkelbraune Sarg aufgebahrt stand. »Wirklich, die alle haben sich einen Dreck um Lauren geschert! Ich begreife nicht, weshalb sie ausgerechnet jetzt anrücken!«
Aber ich begriff, und ich ärgerte mich, dass ich mir das nicht vorher klargemacht hatte: Sie waren natürlich wegen Matthew gekommen. Wie bei den meisten Menschen in unserer Gesellschaft bestand auch für sie der Alltag überwiegend aus vorhersehbaren Ereignissen und ewig gleichen Abläufen; Langeweile und Überdruss waren die Todfeinde Nummer eins. Vanessas Verschwinden und all die Möglichkeiten und Gerüchte, die sich darum rankten, hatten wunderbaren frischen Wind in die Eintönigkeit gebracht. Vanessa war eine von ihnen, aber man stand sich nicht nah genug, um wirklich um sie zu trauern oder an der Ungewissheit ihres Schicksals zu zerbrechen. Dafür konnte man jedoch spekulieren, rätseln, gewagte Theorien aufstellen, Hobbydetektiv spielen, schaurigen Bildern anhängen, sich richtig gruseln … und was sonst noch alles. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass Matthew Willard eine nicht unbedeutende Rolle in ihren Überlegungen spielte. Der Ehemann, der Vanessa als Letzter gesehen hatte. Der mit ihr in die einsame Wildnis des Pembrokeshire Coast National Park gefahren und ohne sie zurückgekehrt war. Ja, sicher, die Polizei hatte ihn bestimmt überprüft und offensichtlich nichts gefunden, na ja, ihm zumindest nichts nachweisen können, aber in neun von zehn solchen Fällen war es der Partner, der Dreck am Stecken hatte, das wusste doch jeder, der auch nur ein bisschen aufmerksam verfolgte, was in den Zeitungen stand. Aber auch wenn er
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