Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
alles tun, aber ich weiß nicht, was.«
Damon sah ihn an. Ryan blickte in vollkommen kalte Augen. Die Gefühllosigkeit seines Gegenübers ließ ihn schaudern. Er begriff auf einmal wieder, was ihn vor nunmehr bald drei Jahren den aberwitzigen Plan hatte fassen lassen, eine Frau zu entführen und sein Glück mit einer Erpressung zu versuchen. Später im Gefängnis hatte er sich selbst nicht mehr verstehen können, hatte sich immer wieder gefragt, wie er so verrückt, so wahnsinnig, so von allen guten Geistern hatte verlassen sein können. Was war bloß in ihm vorgegangen?
Jetzt aber verstand er. Er war genau in derselben Lage gewesen wie jetzt. Mit dem Rücken zur Wand, vollkommen hilflos. Vor sich einen Gegner, der ihm keine Sekunde lang das Gefühl vermittelte, ihn möglicherweise nur mit einem Schrecken davonkommen zu lassen. Im Gegenteil: Der Gegner war hochgefährlich und absolut gnadenlos. Wer sich mit ihm anlegte, konnte nur verlieren. Ryan gab sich keinen Augenblick lang der Illusion hin, das in freundschaftlichem Ton geführte Gespräch mit Damon könnte etwas anderes zum Inhalt gehabt haben als die Drohung, man werde ihn, und vielleicht auch Nora, umbringen, wenn er bis Ende Juni nicht zahlte. Und dabei war nicht einmal sicher, dass es schnell und schmerzlos passieren würde. Damon war vor allem für seine Freude an sadistischer Rache bekannt. Ab dem 30. Juni musste Ryan jede Sekunde damit rechnen, auf offener Straße entführt und an irgendeinem entlegenen Ort langsam zu Tode gefoltert zu werden. Es würde keinen Platz auf der Welt geben, an dem er sich verstecken konnte, jedenfalls nicht für längere Zeit.
Wenn er nicht zahlte, würde er als ein Gejagter leben. Immer. So lange, bis sie ihn hatten. Und das würde nur eine Frage der Zeit sein.
»Jeder kann Geld auftreiben«, sagte Damon. »Es gibt immer Wege. Warum würde es sonst so vielen Menschen täglich gelingen? Lass dir etwas einfallen, Ryan. Du bist kein Dummkopf, das weiß ich. Und es steht eine Menge auf dem Spiel!«
Er hätte das nicht betonen müssen. Ryan wusste, was auf dem Spiel stand: sein Leben. Nicht mehr und nicht weniger.
Damon erhob sich zum Zeichen, dass er das Gespräch als beendet ansah. Er streckte Ryan die Hand hin.
»Mach’s gut, Ryan. War wirklich schön, mal wieder mit dir geplaudert zu haben. Freunde sollten einander nicht zu lange aus den Augen verlieren.«
Ryan rang sich ein Lächeln ab. Er spürte, dass seine Mundwinkel dabei unkontrolliert zuckten. »Wiedersehen, Damon. Wir werden uns ja …«
»… spätestens am 30. Juni wieder treffen«, sagte Damon. »Ich freue mich darauf.«
»Wie kann ich Kontakt aufnehmen?«
Damon grinste breit. »Mach dir da bloß keine Sorgen. Und keine Umstände. Wir werden auf dich zukommen. Versprochen!«
»In … in Ordnung«, sagte Ryan.
Immerhin, er würde nicht heute Abend sterben. Kein Sturz über die Klippen. Kein Zementblock um die Füße und dann ab ins nächste Hafenbecken. Keine Grube im Garten, in die man ihn lebend und bei vollem Bewusstsein hineinlegte und dann mit Erde zuschaufelte. Es ging das Gerücht, Damon habe das mal mit einem Mann gemacht, der ihm Geld schuldete. Ryan mochte sich diese Art zu sterben am liebsten nicht einmal vorstellen.
Die beiden Männer, die ihn vor Noras Haus abgefangen hatten, betraten das Zimmer. Vielleicht hatten sie draußen mitgehört, oder es gab sonst irgendeine geheime Verbindung zwischen ihnen und Damon. Wortlos nahmen sie Ryan in ihre Mitte und eskortierten ihn hinaus.
Ryan warf einen kurzen Blick zurück.
Damon stand mitten im Zimmer und lächelte. Hob sogar kurz die Hand und winkte.
Ein Abschied unter Freunden.
Am liebsten hätte sich Ryan zum zweiten Mal an diesem Abend übergeben.
4
Die Beerdigung von Lauren French, Vanessas Mutter, fand am Freitag, dem 25. Mai statt. Unseren ursprünglichen Plan, schon am Donnerstagabend nach Holyhead zu fahren, um uns am Freitag dann nicht so abhetzen zu müssen, hatte Matthew am Donnerstagmittag gekippt. Er hatte mich in der Redaktion angerufen und mir erklärt, ein Abendessen mit einem wichtigen Kunden zu haben, das er nicht absagen könne.
»Wir schaffen das auch noch am Freitag«, sagte er. »Ist es okay für dich, wenn ich dich schon um sieben Uhr morgens abhole und wir dann gleich losfahren?«
Was hätte ich sagen sollen? Ich willigte ein, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass Matthew gerade ein Ausweichmanöver vollführte. Ich glaubte ihm, dass es den Kunden gab und auch das
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