Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
eindringlich musterte. Der Beamtin entging es wahrscheinlich nicht, dass sie fieberhaft Gedanken wälzte.
»Ich weiß von alldem nichts«, sagte sie. Sie fand, dass ihre Stimme noch immer völlig unnatürlich klang. »Ryan kann mein Auto haben, wann immer er will, und ich frage ihn auch nicht, was er tut und wohin er fährt. So eng ist unsere Beziehung nicht, Inspector.«
Leider!
»Ich kann Ihnen nicht helfen«, fuhr sie fort. »Es tut mir leid. Sie müssen ihn selbst fragen. Er arbeitet bei …«
»Wir waren schon dort«, unterbrach Morgan, »in dem Copyshop in der Dimond Street. Er war in der Mittagspause, und obwohl wir einige Zeit warteten, kehrte er nicht zurück. Seine Jacke h ängt allerdings noch an der Garderobe, darin befinden sich seine Brieftasche und seine Papiere. Einer unserer Beamten ist jetzt vor Ort. Hoffen wir, dass er sich bald wieder blicken lässt. Ohne Geld kann er nicht allzu weit kommen.«
Hatte er Lunte gerochen? War abgetaucht?
»Was immer Alexia Reece zugestoßen ist«, sagte Inspector Morgan, »es gibt etliche Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht gemeint war. Sie wurde an jenem Tag möglicherweise überfallen, aber eigentlich hätte Jenna Robinson in ihrem Auto unterwegs sein sollen. Möglich, dass man sie im Visier hatte. In diesem Zusammenhang interessiert es uns, wer sie weshalb über mehrere Tage immer wieder beobachtet hat.«
»Ja. Natürlich.« Lieber Gott, er wird doch so etwas nicht noch einmal geplant haben? In seiner verzweifelten Notlage, von Damon und seinem Killerkommando bedrängt und bedroht? Er wird doch nicht schon wieder eine Frau entführt haben, um an Geld zu kommen? Willards Lebensgefährtin? Die er dann verwechselt hatte. War er deshalb vielleicht zusammengebrochen vor einer Woche? Weil er der Zeitung entnommen hatte, dass er die Falsche geschnappt hatte?
Aber weshalb hätte er mir das dann alles erzählt? Mich zu seiner Mitwisserin gemacht? Hätte er dann nicht, verdammt noch mal, auf jeden Fall die Klappe gehalten?
»Wissen Sie, wo sich Ryan Lee jetzt aufhält?«, fragte Morgan mit ruhiger Stimme.
Nora holte tief Luft. »Nein.« Da konnte sie jedenfalls ehrlich sein. »Ich weiß es wirklich nicht, Inspector. Und ich weiß auch nichts davon, dass er Leute beobachtet hat. Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Vielleicht geht es doch um ein anderes Auto?«
»Möglich.« Aber es war klar, dass Morgan das nicht glaubte. »Es ist seltsam mit Ryan Lee, finden Sie nicht? Erst diese Geschichte mit seiner Exfreundin. Die in Swansea überfallen wurde. Und jetzt diese Sache. Was wissen Sie eigentlich über den Mann, den Sie da bei sich aufgenommen haben, Miss Franklin?«
»Genug, um ihm zu vertrauen, Inspector. Er hat einigen Mist gebaut in seinem Leben, aber er ist nicht schlecht.«
Wie kannst du so lügen, Nora?
Morgan erhob sich. »Seien Sie vorsichtig, Miss Franklin. Menschen, die im Gefängnis landen, geraten dort nicht immer nur deshalb hin, weil sie schwach sind. Labil, aber im Kern gut, wie man womöglich glauben möchte. Manchmal sind sie im Gefängnis, weil sie absolut böse sind. Amoralisch. Gewissenlos. Ohne Skrupel. Und durchaus in der Lage, anderen etwas vorzumachen.« Sie reichte Nora ihre Karte. »Hier. Noch mal meine Karte. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen etwas einfällt. Wir müssen sehr dringend mit Mr. Lee sprechen. Sie könnten Schwierigkeiten bekommen, wenn Sie seinen Aufenthaltsort kennen und ihn uns verschweigen. Man nennt das Behinderung der polizeilichen Ermittlungsarbeit.«
»Ich weiß wirklich nicht, wo er ist.«
Sie spürte, dass Morgan und ihr Kollege ihr nicht glaubten. Aber wenigstens hauten sie endlich ab. Nora hätte keinen Moment länger durchgehalten, dann wäre sie in Tränen ausgebrochen, und die ganze Situation hätte in einem völligen Fiasko enden können. Sie wartete, bis die Beamten den Fahrstuhl erreicht haben mussten, dann stand sie auf. Ihre Beine zitterten, mochten sie kaum tragen. Sie würde jede Menge Ärger verursachen, aber sie würde jetzt sämtliche Termine für den Nachmittag canceln. Sie war krank.
Sie konnte nicht mehr.
3
DI Olivia Morgan kam um sieben Uhr nach Hause, ungewöhnlich früh für ihre Verhältnisse . Ihre Frustration hatte sie aus dem Büro getrieben. Der Fall Reece schien immer komplizierter zu werden: Inzwischen hatten sie nicht nur eine verschwundene Frau, sondern auch zwei verschwundene Verdächtige. Garrett Wilder, Jenna Robinsons ominöser Exfreund, schien seit nunmehr fast zwei Wochen
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