Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
ein Tier, gepeinigt, gefoltert, rasend in ihrer Todesangst.
Er verlor fast drei Kilo Gewicht in dieser Woche und wachte nachts von seinen eigenen Schreien auf.
Am Samstag wusste er, dass Vanessa, selbst wenn sie sehr sparsam gewesen war, keine Vorräte mehr haben konnte.
Am Sonntag musste er davon ausgehen, dass sie nun seit mindestens vierundzwanzig Stunden nichts mehr hatte trinken können. Er redete sich ein, dass er Aaron nicht dadurch verärgern sollte, dass er ihn am Wochenende ins Gefängnis zitierte, und nahm sich vor, ihn am nächsten Tag kommen zu lassen, sich ihm anzuvertrauen und ihn zu bitten, die nötigen Schritte in die Wege zu leiten, um Vanessa zu befreien.
Am Montagfrüh verweigerte er sein Frühstück. Nach einer durchwachten Nacht war er am Ende seiner Kräfte. Er hatte vorwärts und rückwärts überlegt, wie es mit Vanessas Rettung funktionieren sollte, und das Ergebnis sah düster für ihn aus – noch mehr allerdings für Vanessa. Die Gefahr, die sich für ihn daraus ergab, dass er ihre Befreiung veranlasste, ohne zuvor gründlich alle Indizien, die ihn als Täter überführen konnten, beseitigt zu haben, erschien Ryan übermächtig .
Wie hatte er sich nur jemals in dieses Abenteuer stürzen können? Wie hatte er jemals glauben können, es würde gut ausgehen?
Zehn Jahre Gefängnis oder mehr, dachte er voller Grauen, das stehe ich nicht durch. Nie im Leben. Ich kann es nicht riskieren. Ich kann nicht.
Er regte sich so auf an diesem Montagmorgen, dass er Fieber bekam und sogar der Arzt nach ihm sehen musste.
»Was ist los mit Ihnen?«, fragte er. »So ein plötzlicher Fieberschub ist recht ungewöhnlich.«
»Die ganze Situation«, sagte Ryan. »Daran liegt es.«
Der Arzt gab ihm ein Medikament, und das Fieber sank wieder. Die Qual blieb.
Noch ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht tot, sagte seine innere Stimme, noch ist es kein Mord. Noch kämst du ein klein wenig glimpflicher davon, als wenn sie erst …
Aber wenn ich gar nichts sage, komme ich am glimpflichsten davon.
Du musst dann damit leben.
Alles verblasst irgendwann. Alles wird schwächer. Auch furchtbare Erinnerungen.
Vanessa Willard wird dein lebenslanger Alptraum bleiben.
Ich will nicht endlos hinter diesen Mauern sitzen. Ich kann nicht. Ich werde wahnsinnig hier drinnen. Ich muss hier raus!
Du bist der Teufel.
Nein! Es war Pech! Es war einfach nur furchtbares Pech!
Er lag auf seiner Pritsche und weinte in das Kissen.
Er weinte um Vanessa, um diese Frau, die er gar nicht kannte.
Er weinte, weil er wusste, er würde nichts sagen.
MÄRZ 2012
1
Ich lernte Matthew an einem frühlingshaften Märzabend kennen, an einem Abend, an dem mir nach einem langen, nassen, schmuddeligen Winter zum ersten Mal bewusst auffiel, dass die Tage viel länger hell blieben und dass mit großen und unaufhaltsamen Schritten alles besser wurde. Nicht nur das Wetter. Auch der Schmerz, der meine Seele so lange Zeit umklammert gehalten hatte. Die Luft war lau und der Himmel weit und licht, als ich meine Wohnung verließ, um der Einladung zu einem Abendessen bei meiner Freundin Alexia Reece zu folgen. Der Salzgeruch des Meeres, im Winter oft so rau und stechend, war weich geworden. Ich hatte ein kurzes Kleid und eine dünne Strumpfhose angezogen, dazu einen leichten Mantel, in dem ich schon bald trotz allem etwas zu frösteln begann, aber das war mir egal.
Es wurde Frühling. Draußen – und in meiner Seele.
Alexia, ihr Mann und die vier Kinder wohnten in einer Siedlung ganz im Norden von Swansea, in der kleineren Hälfte eines ohnehin kleinen Doppelhauses, aber immerhin mit einem Stückchen Garten nach hinten hinaus und einer direkt an das Haus angrenzenden Garage, an die sich dann wiederum das nächste Doppelhaus anschloss. Sie lebten viel zu beengt, aber der Kaufpreis des Hauses war vergleichsweise niedrig gewesen. Ich wusste, dass sie sich sowohl mit der Zinszahlung als auch mit der Tilgung schwertaten; insofern stand die Suche nach einer etwas größeren und komfortableren Immobilie nicht zur Debatte.
Alexia war Chefredakteurin von Healthcare, einer Zeitschrift für Gesundheitsvorsorge und Fitness, in deren Redaktion ich arbeitete. Sie war fünfunddreißig, drei Jahre älter als ich, und in einer vollkommen anderen Lebenssituation: mit vier Kindern gesegnet und glücklich verheiratet, immer schrecklich gestresst, weil sie das Organisieren der Kinder und des Berufes jeden Tag von Neuem vor andere Herausforderungen stellte. Ich
Weitere Kostenlose Bücher